Hans-Christian Schink fotografiert Landschaften. Nicht den sprichwörtlichen Ansichtskarten- und Kalenderblick in die Natur, sondern besondere Landschaften, im Schnittpunkt menschlicher Bestrebungen und ihrer natürlichen Voraussetzungen. Es ist dieses menschliche Interesse, welches "Landschaft" erst konstituiert, indem es sie als Gestalt aus dem umgebenden Land heraushebt, gleichsam figürlich vom Grund abgrenzt. Das betrifft die Interessen des Bauern am Ertrag eines Bodens ebenso wie den Wegebauer, heute Verkehrsplaner, der Schneisen in das Unwegsame eines Landes bricht, und nicht zuletzt den städtischen Spaziergänger oder Wanderer, der seiner existentiellen Distanz von den Naturgewalten in Form der ‚interesselosen Anschauung’ (Kant) des Naturschönen eine ästhetische Kontur verleiht.

Die Bilder Hans-Christian Schinks zeigen also das Land als angeeignetes, zumeist direkt im Prozess der Aneignung und Überformung befindliches. Es sind Nutzlandschaften; überdeutlich, geradezu detailbesessen offenbaren sie die Spuren ihrer Nutzung, ob architektonisch, industriell oder verkehrstechnisch. Sie dienen der Versammlung uniformer Einfamilienhäuser oder zweckmäßiger Industriebauten; werkzeugartig treiben sich frische Asphaltbahnen und wuchtige Betonbrücken in ihre Fluchten oder ihre Oberflächenprofile erscheinen selbst als Resultat der Modellierung und Formung nach Maßgabe von Fahrbahnsteigungswinkeln, Lärmschutzverordnungen und Entwässerungsauflagen. Bebaute Landschaften könnte man sie nennen, doch nicht selten wäre es treffender, von erbauten Landschaften zu sprechen. Auf sie hat Schink seine künstlerische Arbeit fokussiert. Nirgendwo ist der Mensch als Verursacher dieser Landschaften direkt anwesend – und doch ist er omnipräsent: Denn die Landschaft trägt seine Handschrift. Er prägt seinen Ordnungswillen in ihrer Oberfläche ein, wobei der Übergang vom gebauten urbanen zum gewachsenen Naturraum und umgekehrt immer durchlässiger wird.

Hans-Christian Schink ist seit Beginn der 90er Jahre in verschiedenen fotografischen Serien den Erscheinungsbildern dieses Ordnungswillens auf der Spur. In ihnen offenbart sich einerseits die Faszination, welche Architekturdetails als gleichsam ‚fertige’ Kompositionsvorlagen auf den bildenden Künstler ausüben, andererseits lassen sie – trotz ihrer ästhetischen Eleganz – im spannungsgeladenen proportionalen Ungleichgewicht zwischen Architektur und Restnatur auch eine kritische Dimension erkennen. Stets bleibt seinen Bildern jedoch eine Distanz eingeschrieben, nimmt er fiktiv, im fotografischen Akt, die Position des unbeteiligten Beobachters ein, der scheinbar einfach wiedergibt, was ‚ist’ (was er sieht), zum anderen aber (als Erbe der deutschen Frühromantik) eine Haltung verlorener Nähe signalisiert, eine Melancholie des Verlustes.

Auch als Hans-Christian Schink im Jahr 2002 als Stipendiat der Villa Aurora nach Los Angeles kommt, interessiert er sich vor allem für die Peripherie des Urbanen, das dort zutage tretende Wechselspiel unterschiedlicher Ordnungssysteme: zum einen die Ordnung des von Zwecken und ökonomischen Rahmenbedingungen bestimmten Gestaltungswillens des Menschen und andererseits das ‚Recht’ der Natur, die ihr eigenen Muster von Wachstum und Vergehen, Sedimentierung und Auswaschung. Bereits zwanzig Jahre zuvor, zwischen 1978 und 1983, hatte der amerikanische Fotograf Robert Adams in seinen California-Bildern die sozialen und ökologischen Verwerfungen im Umfeld der Megapolis thematisiert, so dass man aufgrund mancher Motivähnlichkeiten sicher nicht fehl geht, von einer heimlichen Hommage an den Meister der präzisen Beobachtung des Unscheinbaren, Nebensächlichen zu sprechen. Doch wo sich Adams gleichsam unsichtbar mitten in die Welten mischt, denen er ein fotografisches Gesicht verleiht, verbleibt Hans-Christian Schink in der Position des Außenstehenden, des Baudelairschen Flaneurs, der alles Gesehene nur im Modus der Entfernung und Entfremdung von der eigenen Existenz aufnehmen und wiedergeben kann. Deshalb wirken seine Landschaften, auch die offensichtlich verbrauchten, erschöpften, entrückt und zur Ruhe gebracht wie Stillleben. Besonders eindringlich von der verlorenen Nähe handeln schließlich seine L.A.-Nachtbilder. Dabei bannte er vom Mulholland-Drive und Griffith Park aus das Lichtermeer der Stadt auf kleinformatigen, hoch lichtempfindlichen Farbnegativfilmen und erzielte stark körnige Abzüge, aus denen heraus er wiederum kleinste Ausschnitte bis auf Zwei-Meter-Formate vergrößerte – mit der Wirkung einer entsprechenden Auflösung der Motive bis in die Nähe der Ungegenständlichkeit. Die versuchte Einsichtnahme geriet so folgerichtig zum Ausschlussverfahren, das Objekt der Näherung zum Schemen, zur Folie, zum lichtfunkelnden Augenschein fern aller Gegenwärtigkeit. Die Wirklichkeit bleibt eine faszinierende Unbekannte.

Was die Welle übrig ließ

Zwei Jahre nach dem Tsunami: Der Fotograf Hans-Christian Schink und sein Japan-Bildband 

Der Tagesspiegel, 10.3.2013

Von Christian Schröder

Der Schrecken bleibt abstrakt. Man kann ihn nicht sehen. Jedenfalls nicht sofort. Der Blick geht über ein verschneites Feld, über Felsen und eine Mauer aus Beton auf das sanft gekräuselte Meer. Eine Idylle, bloß ein Detail stört: Im Geäst des Baums, der in der Bildmitte aufragt, hat sich ein Tau verfangen. Es muss von einem Schiff stammen, das vom Tsunami fortgerissen worden war.
Am 11. März 2011 erreichten gegen 15.15 Uhr Ortszeit drei Flutwellen, ausgelöst von einem pazifischen Erdbeben, die japanische Nordostküste. Etwa 19 000 Menschen starben, und seither kennt die Welt den Namen des Atomkraftwerks, in dem die Kernschmelze zur Katastrophe führte: Fukushima.

Der Berliner Fotograf Hans-Christian Schink war vor einem Jahr in der am stärksten betroffenen Region Tohoku unterwegs. Seine Aufnahmen, die jetzt in einem prachtvollen Bildband erscheinen, zeigen eine postapokalyptische Landschaft, die erstaunlich friedlich wirkt. „Viele Orte befanden sich in einem merkwürdigen Zwischenzustand“, sagt er. „Man konnte kaum feststellen, was Ab- und was Aufbau war.“ Bei vielen Häusern, die Schink fotografierte, ist nur schwer zu erkennen, ob es sich um Ruinen oder halb fertige Neubauten handelt.

Das liegt auch an Schinks dezenter Arbeitsweise. Die 62 Fotografien sind meist aus größerer Distanz und unter milchigtrübem Himmel aufgenommen. Schink ist ein Lakoniker, er bevorzugt ein undramatisches Licht, will die Atmosphäre seiner mit einer analogen Groß- oder Mittelformatkamera entstehenden Bilder nicht durch Schlagschatten, Sonnenstrahlen oder Wolken aufladen. So bekommen die Fotos bei aller Detailgenauigkeit auch et- was Unwirkliches. Schink verabscheut den Begriff Authentizität, er dokumentiert nicht, sondern hält Eindrücke fest. „Im Lauf eines jeden Lebens sammelt sich eine Art Sediment von optischen Eindrücken an, die das eigene Sehen formen“, sagt er. Ein Credo strenger Subjektivität.

Es lohnt sich, die stillen, fast meditativ wirkenden Landschaftspanoramen länger zu betrachten. Oft zeigt sich wie bei einem Suchbild die Pointe nicht sofort. Der Bus, der auf dem Dach eines rohbauartigen Betonhauses steht, parkt dort nicht – der Tsunami hat ihn abgestellt. Am Eingang eines Schreins sind der Sockel eines Pfeilers, ein Wasserbecken und ein paar Steine aufgereiht – letzte Überbleibsel von zerstörten Tempeln. Schachbrettartig angeordnete Straßen umrahmen leere, wie frisch geharkt erscheinende Sandfelder – die Stadt, die hier einmal gestanden hat, wurde hinweggefegt. Und überall, selbst dort wo die Verwüstung besonders augenfällig ist, ragen Strommasten auf, ziehen sich Kabel über Wege und Wiesen. Man könnte glauben, dass sie das Einzige waren, was die Flutwellen überstanden hat. Falsch. Sie waren das Erste, was nach dem Tsunami wiederhergestellt wurde.

Dreieinhalb Monate lang hat Hans- Christian Schink Anfang 2012 als Stipendiat der Villa Kamogawa in Kyoto gelebt, einer Künstlerresidenz des Goethe-Instituts. Von dort brach er immer wieder nach Tohoku auf, wo der Tsunami auf einer 400 Kilometer langen Küstenlinie alle Siedlungen dem Erdboden gleichgemacht hatte. Aber in die Sperrzone, die von den japanischen Behörden in einem Radius von 20 Kilometern um das havarierte Kernkraftwerk Fukushima eingerichtet wurde, wollte er nicht fahren. „Weil ich gar nicht darstellen könnte, was passiert ist,“ sagte er. „Für mich lassen sich aus der Atomkatastrophe keine Bilder ableiten.“ Radioaktivität ist unsichtbar, fotografieren kann man sie nicht.

Beeindruckt war Schink vom Pragmatismus der Aufräum- und Aufbauarbeiten: „In Japan ist die Bestrebung, die Natur zu beherrschen, stärker ausgeprägt als in westlichen Gesellschaften. Gleichzeitig gibt es eine viel größere Akzeptanz, dass die Natur stärker ist und sich vom Menschen nicht besiegen lässt.“ In Deutschland hat die Kernschmelze von Fukushima zum endgültigen Abschied von der Kernenergie geführt. In Japan vollzog der neue Ministerpräsident Shinzo Abe gerade den Ausstieg aus dem von der Vorgängerregierung zögernd betriebenen Atomausstieg und kündigte den Bau neuer Reaktoren an. Dort wird die Erinnerung an Fukushima von der Erinnerung an das Tohoku-Beben und die Todesopfer, die der Tsunami forderte, überlagert. Im Nachwort des Bildbands spricht Rei Masuda, Fotografiekurator des National Museum of Modern Art in Tokio, von einer „Ehrfurcht gebietenden Zerstörung“ und konstatiert: „Die von der Katastrophe verursachten Wunden sind unverändert, tief eingeschnitten in die Landschaft.“

Bekannt geworden ist Hans-Christian Schink, der 1961 in Erfurt geboren wurde, mit der Serie „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit“. Seine monumentalen Bilder vom Ausbau des Autobahnnetzes in den neuen Bundesländern zeigten neu errichtete Brücken, Pfeiler und Trassen im jungfräulichen Zustand vor der Einweihung. Ihre Erhabenheit erinnert an die deutsche Romantik. Etwas von diesem Geist steckt auch in den Fotos aus Tohoku. Auf dem Titelbild des Buches, das eine Hommage an Caspar David Friedrichs Gemälde „Das Eismeer“ sein könnte, türmen sich Betonstücke zu einer stacheligen Strandskulptur. Schönheit und Schrecken, symbiotisch vereint. 

Hans-Christian Schink: Tohoku. Mit einem Essay von Rei Masuda, Hatje Cantz, Ostfildern 2013. 132 Seiten, 39,80 €

Handelsblatt, 24.8.2011

Im Duisburger Museum Küppersmühle flaniert der Besucher durch Zeit- und Fotografiegeschichte, wenn er sich dem Gesamtwerk von Hans-Christian Schink nähert. Von den Alltagsszenen hin zur fotografischen Abstraktion und zum Experiment. 

Duisburg. Während draußen über die Finanzierung gestritten wird, findet man drinnen zu Ruhe und Form. Ursprünglich sollte noch in diesem Jahr der von den Schweizer Architekten Herzog & de Meuron geplante Kunst- Kubus auf das Museum Küppersmühle (MKM) in Duisburg gehoben werden. Doch Baumängel und explodierende Kosten für den überdimensionierten "Schuhkarton" von einst geplanten 24 Millionen, über 48 Millionen auf nunmehr beinahe 70 Millionen Euro haben das ehrgeizige Prestigeprojekt zumindest vorläufig auf Eis gelegt.

Minimale Erzählweise

Während draußen noch gerechnet wird, scheint drinnen wenigstens eine Rechnung aufzugehen. Dort nämlich sind noch bis zum 3. Oktober rund 100 - äußerst sehenswerte - Arbeiten des Leipziger Fotografen Hans- Christian Schink ausgestellt. Eine Übersichtsschau, die erstmals auch die frühen Schwarz-Weiß-Fotografien aus der Zeit vor der Wende zeigt. Mit zunächst noch dokumentarischem Blick hält Schink Alltagszenen im Sucher fest: Kinder beim Spielen zwischen Plattenbauten oder Heimwerker, die an ihrem Trabi schrauben.

Es folgen, wegweisend für die künftige Serienarbeit, die Werkgruppen "Leipziger Bäder" (1988), U-Bahnhöfe in "Nordkorea" (1989) und "Sankt Petersburg". 1998 entwickelt Schink eine Vorliebe für leere Räume, die in der Serie "Büro" zum Ausdruck kommt. Spätestens hier rückt der Künstler ab von einer anekdotischen Erzählweise hin zu einem minimalen, reduzierten Umgang mit Raum, die an das Spiel mit Form und Farbe bei Mondrian erinnert. Auch in "Wände" (1995-2003), zeigt sich Schinks Entwicklung hin zu grafischer Abstraktion: zu sehen sind farbige Außenwände von Gewerbebauten, erstmals im Großformat, aber immer noch analog fotografiert.

Blühende Landschaften

Mit "Verkehrsprojekte Deutsche Einheit" (1995 bis 2003), einer 2004 mit großem Erfolg im Berliner Martin Gropius-Bau präsentierten Serie, erfolgt der Durchbruch im Kunstbetrieb. Sie hat den gewaltigen Wandel in der Landschaft durch den Ausbau der Infrastruktur in Ostdeutschland zum Thema. Erst als Nutzer der neuen Verkehrswege habe sich ihm die Veränderung in der Wahrnehmung der Landschaft wirklich bemerkbar gemacht, erklärt Schink: "Nur in der Rolle des scheinbar unbeteiligten Beobachters ließ sich die ambivalente Faszination, die von den Bauwerken des beschleunigten Fortschritts ausgeht, mit Motiven verbinden, die Bezug auf einen romantischen Naturbergriff nehmen." Heraus gekommen sind Fotografien mit Autobahnbrücken aus Beton, die bedrohlich und schwer den Aufbau Ost symbolisieren. Eine menschenleere, nüchterne Ästhetik, die inmitten der Natur zu einer rein funktionalen Architektur wird und krass vor Augen führt, dass das Versprechen von "blühenden Landschaften" buchstäblich auch das Gegenteil bedeuten kann.

Belichtungs-Experimente

Zunehmend experimentell wird Schink mit seiner Werkgruppe "LA:Night" von 2002. Die mit einem empfindlichen Kleinbildfilm fotografierten Bilder von Los Angeles bei Nacht erscheinen enorm vergrößert und grob gekörnt als glitzernde, sich bewegende Lichtpunkte einer Stadt, die niemals schläft.

Für die ebenfalls experimentelle Arbeit "1 h" wurde Schink mit dem REAL Photography Award ausgezeichnet. In dieser zwölf Fotos umfassenden Serie macht Schink Zeit sichtbar. Allen Bildern gemein ist ein unterschiedlich geneigter schwarzer Balken, der wie ein fremdartiges Flugobjekt ins Bild montiert zu sein scheint. Was wir sehen ist die Sonne, die aufgrund einer extremen Belichtungszeit von einer Stunde (Technik der Solarisation) durch die Erddrehung nicht als Kreis, sondern als Balken, umgeben von einer hell strahlenden Korona, erfahrbar wird. Ein irritierendes Spiel um Wahrnehmung und Wirkung der auf diese Weise angehaltenen Zeit. Diesen Werkkomplex stellt Schinks Stammgalerie, die Galerie Rothamel, in ihrer aktuellen Herbstausstellung in Frankfurt aus. 

Im Blick der Museen

Auf internationalen Messen (Art Basel, Art Miami, Art Forum Berlin, Paris Foto) ist der gebürtige Erfurter ebenso präsent wie in vielen privaten und musealen Kunstsammlungen. So verfügt das MKM selbst über acht großformatige Fotografien, die in der ständigen Sammlung ausgestellt sind. Darüber hinaus leisten sich einige Banken, Wirtschaftsunternehmen und Versicherungen seine Werke. Auf dem Markt hat Schink in den vergangenen 15 Jahren eine Wertsteigerung um 400 Prozent erfahren und wird gegenwärtig mit Preisen bis in den fünfstelligen Bereich gehandelt. Wenngleich er bei Auktionen bislang kaum in Erscheinung getreten ist, kann sich die von Erfurt und Frankfurt aus agierende Galerie Rothamel über stetig steigende Ankäufe, auch seitens der Museen, freuen. Aktuell am teuersten: seine Motive aus der derzeit - neben den "Verkehrsprojekten" und der Serie "Vietnam" – angesagten Serie "1h", die in der Größe 178 x 215 cm, 23.800 Euro gerahmt und brutto kosten. Nach Galerie-Angaben haben dabei die meisten Motive eine Achter-Auflage und werden in zwei oder drei unterschiedlichen Formaten hergestellt. 

WAZ, 11.7.2011

Duisburg. Was ihn an der Fotografie wirklich interessiere, hat der große Henri Cartier-Bresson einmal gesagt, das sei nicht das Bild, sondern den Sekundenbruchteil von Wirklichkeit festzuhalten. Bis heute gilt dieser mythische Moment, diese Einheit von Augenblick und Auslöser, als das große Faszinosum der Fotografie, unwiederbringlich, einzigartig.

Für Hans-Christian Schink, dem das Duisburger Museum Küppersmühle nun eine 100 Bilder starke, retrospektive Ausstellung aus drei Jahrzehnten widmet, muss das Erkennen des Bildes dabei längst nicht mehr eins sein mit dem Auslösen, manchmal können Stunden, sogar Wochen vergehen, „die Zeitspanne dazwischen ist nicht relevant“, sagt Schink.

Forschen über die Zeit

Der 1961 in Erfurt geborene, an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst ausgebildete und längst zu den großen deutschen Gegenwartsfotografen zählende Bilderkünstler ist ein Langzeitbeobachter. Am besten kann man das seiner preisgekrönten Serie „1h“ sehen, für die Schink die Sonne an verschiedenen Orten der Welt mit der Belichtungszeit von einer Stunde fotografiert hat. Das Ergebnis ist keine Fotografie im klassischen Sinne mehr, sondern ein Forschen über die Zeit und das Licht, ein Sichtbarmachen von etwas, das das menschliche Auge gar nicht sehen kann: ein schwarzer, wie ins Bild montierter Balken zeichnet uns plötzlich den Weg der Sonne nach.

Zeit nehmen in der Fotografie. Für Schink bedeutet das auch: Schwingungen aufnehmen, die Entstehung von neuen Strukturen nachzeichnen, mit Vorliebe in Serien arbeiten. Die „Leipziger Bäder“ markieren dabei 1988 in vielerlei Hinsicht einen Wendepunkt in Schinks Werk. Hier entdeckt er nicht nur die Farbfotografie und das Arbeiten mit der Großbildkamera für sich. Hier dokumentiert er erstmals auch den leeren, abgewirtschafteten Raum zwecks Spurensicherung menschlicher Geschichte.

Schink ist kein deutsch-deutscher Chronist, er hat in Los Angeles und Nordkorea fotografiert, er hat den vietnamesischen Regenwald zum Stimmungsbild verdichtet und die Antarktis-Einsamkeit wie eine Landschaft von Caspar David Friedrich komponiert. Aber die Veränderungen von eigener Umgebung und Wahrnehmung sind ein großes Thema seiner Fotografie. Seine „Wände“-Serien beispielsweise zeigt für ihn die „Essenz der Banal- Architektur“ in rot, grün, blau. Flache, farbige Fertigbautenfronten, „so neu und geleckt, wie sie nur in Ostdeutschland aussehen“, erklärt Schink.

Monumente einer fast schon wieder vergessenen Zukunft

Und die „blühenden Landschaften“, denen er in seiner Serie „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit“ nachspürte, sind bei Schink Einöden mit verloren in die Landschaft gepflanzten Brückenpfeilern und Autobahnköpfen. Die Bauteile wirken wie zurückgelassene Monumente einer fast schon wieder vergessenen Zukunft.

So wie Schink diese gigantischen Ingenieurskunstüberbleibsel in einen noch viel wirkungsmächtigeren, romantischen Naturraum stellt, spricht freilich nicht nur der Motiv-Statiker aus ihm. „Mögen die Bilder auch rational erscheinen, entscheidend ist das Bauchgefühl“, sagt Schink. Und das ist wohl immer noch – eine Frage des Augenblicks.