Aber schön ist auch die Zeit des Erwachens, wenn man nur zur Unzeit uns nicht weckt. Hölderlin

Natürlich sind das keine Landschaften. Das sind Pastelle. Auch wenn es platt ist, diesen Unterschied zu betonen, verführen die Arbeiten von Wieland Payer leicht dazu, ihn zu vergessen. Seine Bilder zeigen Wald und Himmel, Berg und Tal, Nebel und Grotte, Nische und Sternenzelt – also stellen sich sofort die gewohnten Reflexe der Bildung ein: Oh, Landschaftsbilder! Interessant. Dunkler Tann unter Himmelsdramen – ah! Wie bei Albrecht Altdorfer (1480–1538). Mondscheibe an Sternenzelt – ha! Wie bei Adam Elsheimer (1578–1610). Ein Morgen im dämmrigen Silberlicht – das erinnert an Johann Christian Clausen Dahl (1788–1857) ... In der Euphorie des abzählenden Wiedererkennens bemerkt man gar nicht, dass die Bilder Wieland Payers nach diesem Prinzip von lauter toten Malern besetzt wären, umweht von der Aura vergangener Epochen – die Donauschule, die Romantik! Erinnern macht froh und füllt die Augen.

Wären sie nicht gefüllt, müsste man sich fragen, wohin Altdorfer & Co. dann aber geraten sind? In Kreiden und kalte Bildarrangements, die mit genau solchen Klischees der Kunstbetrachtung spielen. Schon deshalb gibt es bei näherem Hinsehen Unstimmigkeiten und Brüche anzumelden, die das warme Bild der Übereinstimmung oder der retrospektiven Verbundenheit wieder auflösen. Schon der Griff nach dem Pastellstift bezeichnet einen Abstand, der das Arbeitsprinzip Wieland Payers von historischen Vorgängern trennt. Nicht zufällig, denn Landschaft und Pastell trafen in der Kunstgeschichte bisher kaum zusammen. Der Begriff »Pastellmalerei« hat ohnehin etwas Uneindeutiges, da das Pastell nicht gemalt, sondern gezeichnet wird. Die vom Stift abgeriebenen Pigmente haften als feinkörnige Bahnen auf dem Papiergrund, um eine eigene Ausdruckssphäre empfindlicher Farbkörper zu schaffen. Der Bezug zur Malerei ergab sich auch nicht aus dem Material, sondern aus dem Vermögen dieser Technik, die Kreiden zu mischen und in transparenten Schichtungen anzulegen, wie man sie aus der Lasurmalerei kennt. Die Blütezeit des Pastells liegt im 17. und 18. Jahrhundert; sein Hauptgegenstand waren Porträts. Die Pudrigkeit des Auftrags passte zur Pudrigkeit der höfischen Gesellschaft im späten Rokoko. Geschätzt wurde die Fähigkeit des Pastells, eine verblüffende Naturwahrheit zu ermöglichen und den Gegenständen der Aneignung ein inneres Leuchten zu schenken. Dazu trug nicht zuletzt die sanfte, wenn man so will »unspeckige« Oberfläche der Kreide bei. Eine Wange konnte nicht nur pfirsichfarben erscheinen, sondern sie wurde samten, in der Pfirsichweise. Die Intimität gegenüber dem Erfassten bestimmte auch den intimen Charakter dieser Kabinettstücke. Mit kleinen Formaten und unter geschliffenem Glas verlangten sie nach dem Schimmer von Seidentapeten und zierten auch noch Boudoirs.

Die Konsequenz aus diesen Eigenheiten des Mediums war, dass es für bestimmte Aufgaben der Kunst gar nicht erst aufgerufen wurde. Was für Porträts und Stillleben im feinen Vortrag unübertrefflich wirkte, schien kaum geeignet, auch der großen Form zu genügen. Veduten, Historienbilder, Genreszenen und auch Landschaften in Pastell gab es nicht. Die Technik war immer schon zu sensitiv für die repräsentativen Aufgaben der Kunst, weshalb ihr lange auch der Ruf des Parfümierten, leise Verdorbenen und Süßlichen anhaftete. Entsprechend führte sie bis ins 20. Jahrhundert das Dasein eines exklusiven Nebenverfahrens, sieht man von Impressionisten wie Edgar Degas (1834–1917), Auguste Renoir (1841–1919) oder Édouard Manet (1832–1883) ab, die ja gerade die Macht des Lichtstaubs auf den Oberflächen des Augeneindrucks entdeckt hatten. Oder sie wurde von angstlosen Einzelgestalten als Möglichkeit durchgespielt – so von Pablo Picasso (1881–1973), Albert Welti (1862–1912), der als Außenseiter eine Pastellpassion pflegte, oder Heinrich Zille (1858–1929), von dem es zauberhafte Pastellstudien gibt, die erstmals zeigten, dass Armut und Dreck auch leuchten können. Nicht vergessen sei auch Alfred Hrdlicka (1928–2009), der mit seinen Zeichnungen zu Richard Wagner noch einmal ein Hauptwerk der Pastellmalerei schuf. Für die zeitgenössische Kunst aber spielt das Pastell überhaupt keine Rolle mehr. Es ist zur Laientechnik heruntergekommen, deren Werkzeuge man über »amazon« bestellen kann, inklusive einer Gebrauchsanleitung (»Brillante Motive einfach gemacht«). Wenn Wieland Payer im 21. Jahrhundert das Pastell favorisiert, muss er also ein Konzept verfolgen, das den Status quo der Technik in Bezug auf seine mediale und funktionale Zuständigkeit neu untersucht.

Und tatsächlich greift er die Wesensbestimmung des Pastells überall an. Etwa das Diktum von Intimität und begrenztem Format, den Hybridstatus zwischen Zeichnung und Malerei oder die scheinbare Untauglichkeit für das Landschaftsbild. Payers Vorgehen ist dabei von subtiler, unaufgeregter und missionsloser Folgerichtigkeit. Er ist ein Zeichner und gibt die Spur der Hand so wenig auf wie die Bedeutung der Linie für die Bildgestalt. Auch der durchscheinende Papiergrund wird als konstituierendes Element der bildlichen Raumbestimmung einbezogen. Der sichtbare Auftrag, die pulvrige Struktur der Linien, die Leuchtkraft feinster Details, die Transparenz der übereinander gelagerten Kreideformationen und die geschöpfte Oberfläche des Papierkörpers bestätigen unbedingt den Grundcharakter der Zeichnung. Indem Payer sie aber auf großformatige Bildträger kaschiert, dehnt er das Strukturfeld der Ausarbeitung überraschend aus. Die schiere Flächenbehauptung verschiebt den Akzent von der Zeichnung wieder in Richtung Malerei, gerade weil oder obwohl das trockene Oberflächenmilieu die Künstler über 300 Jahre lang davon abgehalten hat, genau das zu tun. Aus dem medialen Hybrid (Pastell = Zeichnung als Malerei) schafft Payer einen weiteren: Ereignisbild und Landschaft kristallisieren zu Ereignislandschaften aus, in deren Brechungen Versatzstücke von Naturbildern aneinander geraten.

Das führt zur nächsten Konsequenz: Wenn die Landschaftsmalerei historisch dazu beitrug, den Betrachter zu definieren, indem der Horizont als »Repräsentant der Distanz« entdeckt wurde, wie Gottfried Böhm das nannte (1), dann hebt Payer dieses Ordnungsprinzip wieder auf: Er zoomt die Ansichten so nah heran, dass der Horizont aus dem grandiosen Naturmotiv oft verschwindet. Der Betrachter wird auf diesem Wege von den Relationsbestimmungen für Oben und Unten, Nähe und Ferne abgetrennt. Man bewegt sich nie irgendwo anders als in einem Davor des Anblicks und sieht, statt der Imagination einer bestimmten Landschaft zu verfallen, allein das Bild, das seine eigene Totale definiert. Payer verunsichert so die Konstanten, die der Betrachter in einem Landschaftsbild sucht. Stattdessen stellt er die Gebrochenheit eines Gestaltungszusammenhangs heraus, den wir immer noch »Landschaft« nennen, indem alle Anstrengungen Payers darauf hinauslaufen, dessen gattungsspezifische Parameter infrage zu stellen, neu zu definieren oder gar zu leugnen. Kreuzpunkt seiner Auseinandersetzung ist der Abbildbegriff, dessen historische und funktionale Instabilität die Moderne auf den Plan gerufen hat, der Bildrhetorik ruhigstellender Illusionsapparate ein Ende zu bereiten. Payer versetzt den eindeutigen, vom Bildgesetz bestimmten Bildsinn in eine seltsame Zweideutigkeit, wenn er das gegenständliche Lesen des Betrachters erst aufruft und dann wieder abweist. Dadurch werden, je länger man hinsieht, die Halterungen der überkommenen Einordnungsbegriffe demontiert: Jeder Gedanke, jedes Gefühl oder jede Idee, die man den Bildern anträgt, um sie beurteilen zu können, ist perforiert von den Absichten des Künstlers, erst einmal sicherzustellen, dass der Betrachter nicht sieht, was er sieht. Er soll verstehen, dass er einer Denkfigur gegenübersteht, die zunächst entschlüsselt werden muss. Das Betrachtungserlebnis wandelt sich in das Erlebnis eines Erkennens, das jede Facette auf jeder Ebene der Darstellung neu buchstabiert. Darum ist die Mitwirkung des Betrachters entscheidend: Er muss das Gewusste am Gezeigten prüfen, um sich die Voraussetzungen dieser Bilder zu erschließen. Dann wird auch deutlicher, dass Payers Landschaften keine klassischen Landschaften mehr sind. Sie haben weder irgendeine topografische noch eine erinnerte oder gefühlsmäßig erahnte Wirklichkeit zum Ausgangspunkt. Auch wenn Payer gern durch schöne Landschaften wandert, hält er sich fern von der Heimeligkeit entzückter Blickberührung. Das Abtasten von Wald und Wiese und das unmittelbare Verwirklichen von Naturvorkommnissen spielen für seine Erfindungen keine Rolle. In seinen Bildern finden sich keine Motive, die man irgendwo als Bild extrahiert haben könnte, sondern allein Arrangements, die den Prämissen unserer Erwartung ein Rätsel aufgeben und so das Unvorhersehbare schaffen. Man steht vor strukturell angelegten Kompositionen, in denen sich Blickpunkte und Perspektiven überlagern und zu fantastisch kompilierten Motiven umschlagen. Was als Naturbild deklariert ist, erweist sich bei näherem Hinsehen als Täuschungsrevier, als erzeugte »Gegend«, die jeder kontinuierlich entfalteten Wahrnehmung widerspricht. Erst wenn man begreift, dass Payers Bilder nicht Abbild, auch nicht Abbild einer historisch legitimierten Naturauffassung sind, wird auch klar, dass man es mit Konstruktionen zu tun hat, die den überkommenen Vorstellungen von Landschaft entgegen gehalten werden. Jede Ansicht, die Payer liefert, spielt mit Vorstellungen, die nicht er, sondern wir in die schöne Natur hineintragen. Um das klar zu halten, gliedert er die Bildräume so, dass fremde Körperstrukturen, Lichterscheinungen oder Flächen das Idyll, die scheinbar arglose Ansicht von Berg und Tal, plötzlich verstellen, ohne die Faszination am rein Sichtbaren anzutasten. Die Blätter gewinnen eine enorme Präsenz, weil sie die Komplexität der intellektuellen Gestaltungsanlässe, von denen die Rede war, in den Mantel des Schönen hüllen: Den Zeichnungen eignet durch ihre Leuchtkraft, durch ihre machtvollen Hell-Dunkel-Kontraste und vor allem durch ihren Detailreichtum eine hohe visuelle Attraktion.

Diese kühle Strahlkraft ist es auch, die den Betrachter sofort an die Epoche der Romantik denken lässt, bevor er der Tücken dieser assoziativen Rückbindung gewahr wird. Das ist auch nicht schlimm. Diesen Konflikt zwischen Ansicht und Einsicht trugen die Romantiker selbst schon aus. Auch Payers Vorgänger wurden mit Verweisen auf Vorgänger drangsaliert. Man überging damals wie heute, welche kritischen Einwände und produktiven Kühnheiten notwendig waren, um zur Originalität jener persönlichen Anschauung zu kommen, auf die man an einem späteren Punkt zeigt, um sie doch wieder vergleichbar zu machen. Das Problematische an diesen legitimen Assoziationsketten ist, dass sie die Geschichte letztlich doch als Entfaltung einer inneren Logik behaupten. Der Verweis ins allgemein Frühere teilt über die konkrete Gegenwart eines zeitgenössischen Kunstdenkens aber kaum etwas mit. Zwar ist die Kunstgeschichte voller interner und diskreter Bezugspunkte. Die aber finden nicht auf der Linie von Vorgängern und Nachfolgern statt, sondern in einem geistigen Resonanzraum, wo sich das Frühe und das Späte immer zugleich aufhalten. Caspar David Friedrich (1774–1840) hatte wohl kaum Wieland Payer vorarbeiten wollen, während er das epochenwirksame und für Goethe noch maßgebliche Bildsystem von Claude Lorrain (1600–1682) durch abstrakte Kompositionsprinzipien radikalisierte. Was aber bedeutete der damalige Umbruch? Wurde Lorrain durch Friedrich zu sich selbst gebracht oder Friedrich durch Lorrain? Oder hat man es nicht doch in dem einen wie im anderen Fall mit einer originären Leistung zu tun, deren Vorgängerreferenzen durch die neu gewonnene Position nicht überwunden, sondern gewissermaßen ausgelöscht wurden?

Das alt oder neu apostrophierte Motiv unterliegt immer einem fremden Anliegen mit allen Konsequenzen in der zuletzt gefundenen Bildgestalt. Denn alle Entscheidungen, die das Bild formieren, verdanken sich zuerst dem Kontext der eigenen Gegenwart und sind ihm auch immer schon ausgesetzt, bevor überhaupt eine historisch begründete Familienzugehörigkeit, etwa Payers zur Romantik, erwogen werden kann. Kunst hat immer nur eine Gegenwart. Es ist die, in der das Denken über sie stattfindet. Dieser Grundsatz gilt für die Produktion von Bildern nicht weniger als für deren Wirkung und für ihr Verständnis durch die Zeiten, die nichts anderes als einander ablösende Gegenwarten sind.

In die unmittelbare Gegenwart gehört das wache Bewusstsein des Künstlers, dass die Welt weder ihn noch überhaupt jemanden braucht. Das ist auch der gravierende Unterschied zur Einsamkeitsmetaphorik der Romantik. Wir sind nicht allein, sagen Payers Bilder, sondern wir sind draußen. Also behauptet er auch nicht mehr, die Natur sei dazu da, uns zu erbauen und die Kunst sei damit beauftragt, Tiefensymbole mit Sonne und Nacht oder Lebensbilder mit Berg und Tal auszuschenken. Er sieht in der Natur eher das Abgewandte, das Wilde, jenes Chaos, das künstlerisch nicht bewältigt werden kann, ohne dass es aufgelöst würde durch einen ordnenden Blick. Die Zeichnung verkleinert die übermächtige Welt auf den Eindruck, der von ihr formuliert werden kann. Die Formulierung wiederum ist es, die mit unseren Erfahrungen korreliert. Die Erfahrungen aber schlagen sich in Erwartungen nieder. Und mit denen spielt die Kunst, nicht mit der Natur.

So unterbrechen Payers Pastelle mit der Fremdheit einer widerstrebenden, selten gewordenen Technik die Erfahrung einer im Hausgebrauch verrotteten, lückenlos abgebildeten und touristisch visualisierten Welt. Wer sie aufsucht, findet sie besetzt, durchpflügt, zerschnitten und melioriert durch jene industrielle Unterwerfung, in deren Ergebnis aus der Natur der Widersinn einer Kulturlandschaft entstand. Schon deshalb kann die Natur kaum noch naiver Gegenstand der Kunst sein. Im Gegenteil. Sie ist längst schon ein Gegenstand musealer Konservierung in behördlich verwalteten Schutzräumen – wie die Kunst selbst.

An diesem heiklen Punkt wird der Riss zwischen dem Landschaftsmaler von 1816 und 2016 noch einmal klar: Den unschuldigen Blick gibt es so wenig mehr wie eine unschuldige Natur. Nicht nur ist alles schon bis zur Unkenntlichkeit abgebildet, jeder Anblick ist immer auch schon von Vor-Bildern besetzt. Die wichtigste Konsequenz, die in der Postmoderne gezogen wurde, läuft auf die Gewissheit hinaus, dass die Evidenz des Sichtbaren zerfällt. Die Kunst ist dadurch endgültig frei. Frei davon, die Natur in ein gültiges Zeichensystem verwandeln zu wollen, frei aber auch davon, für die Deutung der Welt überhaupt bedeutsam zu sein. Insofern ist die zeitgenössische Kunst statt mit dem Geheimnis der Welt fast nur noch mit dem Geheimnis ihres eigenen Vorkommens befasst. Der Rückgriff auf die Geschichte der Bilder ist dann nicht mehr Teil einer sich selbst entfaltenden Tradition, sondern seinerseits Reflektieren aus dem Abstand. Bild und Bedeutung fallen nicht mehr zusammen, sondern zeigen aus gegenüberliegenden Positionen aufeinander. Abstraktion oder Gegenständlichkeit, Tradition oder Avantgarde, Moderne oder Antimoderne sind verlorene Fragen, wie auch die Bilder von Payer zeigen: Sie rufen die ehedem unvermittelbar gewesenen Möglichkeiten zwischen Naturanschaulichkeit und planimetrischer Abstraktion von Flächen herbei, ohne noch an den ausschließenden Unbedingtheitsanspruch von Avantgarden zu glauben. Payers Pastelle bekennen sich zu jener Krise des Bildbegriffs, die sich im gestörten Verhältnis zwischen dem Bild der Natur und der Natur des Bildes ausspricht. Dass Bilder Konstruktionen von Welt sind, durchzieht als Gewissheit alle Epochen, sonst gäbe es keine Stilgeschichte. Das zu würdigen und zu kategorisieren, arbeiten sich die Kunsthistoriker seit 200 Jahren ab. Konstruieren jedoch zum alleinigen Gegenstand der Kunst zu machen, ist das Ermächtigungsgesetz der Moderne.

Wieland Payer, der studierte, als dies alles schon Konsens war, wandert statt durch Landschaften durch die Kunstgeschichte wie durch ein Depot, ohne die Not, sich irgendwie legitimieren oder rechtfertigen zu müssen. Er entnimmt ihr, was er an Bildrequisiten braucht, um raffinierte Stimmungskulissen hinzuzaubern, auf die wir erwartungsgemäß reagieren. Als brillanter Zeichner baut er eine Sphäre der Überwältigung, des schönen Scheins und der Traumseligkeit auf. Sie zieht den Betrachter magisch an, bis er erwacht. Und wenn Hölderlin darum bittet, nur möglichst nicht zur Unzeit geweckt zu werden, könnte man sagen, dass Payer seine Bilder genau für diese Unzeit macht.

(1) Gottfried Boehm: Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens. University Press Berlin 2007, S. 78 

"Abseits vom Getöse der Welt"

sprach ich mit Galerist Jörk Rothamel, Künstler Wieland Payer und einem Gast über die aktuelle Ausstellung.

Den vollen Beitrag gibt es in der Mediathek von Radio F.R.E.I. 

 
Erfurt. Wieland Payer verwandelt die Sehnsuchtsorte von Caspar David Friedrich in kontaminierte Zonen. Seine Werke sind in Erfurt und Jena zu sehen.
 
Erfurt. Über dem Gebirge türmen sich Wolken und über den Wolken türmt sich – ja was eigentlich? Es leuchtet. Die gleißend gelben Dreiecke treiben auseinander wie ein Kristall; der Himmel scheint sich aufzutun. Endzeit oder Erlösung?

Wieland Payer steht mit verschränkten Armen vor dem Bild, das er „Cloud“, Wolke, genannt hat, und hört zu, wie sein Galerist Jörk Rothamel von „rätselhaften Erscheinungen“ spricht. Von Science-Fiction-Welten, die auf den deutschen Wald treffen und die Sehnsuchtsorte der Romantik zu etwas anderem machten. 

Und Kai-Uwe Schiertz, den Direktor der Erfurter Kunstmuseen, der 2016 eine Ausstellung mit Payer im Angermuseum plant, erinnerten dessen Bilder mal an Novalis’ Satz: „Die Welt muss romantisiert werden! ... Indem ich dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen gebe.“ Zum Beispiel mit futuristischen Gewächsen im deutschen Wald.  

Etwas ist passiert in den menschenleeren Landschaften des 1981 in Erfurt geborenen Wieland Payer, dessen Werke derzeit in der Romantik-Ausstellung in der Jenaer Kunstsammlung zu sehen sind und von morgen an auch in der Erfurter Galerie Rothamel. Was, das würde Payer lieber offenlassen. 

Fremdartig wie Möbelhäuser nach der Wende

Er erzählt von Tarkovskis „Stalker“. Was ihn an der – wie sich nach dem Dreh herausstellte tatsächlich chemisch kontaminierten – Landschaft im Film so fasziniere, sei das permanente „unmittelbare Davor: Wie die Spannung aufrecht erhalten wird, ohne dass etwas passiert.“

Zur deutschen Romantik fand der Erfurter in der Ferne. Im Grafik-Studium an der Burg Giebichenstein hatte er noch exotische Pflanzen gezeichnet. „Baumartige“, nannte er sie oder „Pioniere“, außerirdische Gewächse, die bunt in schwarz-weißer Öde barsten. Als er nach dem Diplom ans Royal College of Art nach London ging, stellte sich ihm auf einmal die Frage: „Wo kommst Du her?“ Das künstlerische Ergebnis: „weniger tropisch, weniger explosionsartig“, mehr Caspar David Friedrich, mehr Carl Blechen. 

Wo die ursprüngliche Natur bei Friedrich dramatisch erhaben aufgeladen ist, herrscht bei Payer eine lässige Ästhetik. Er ist ein Landschaftszeichner, aber keiner, der mit dem Skizzenblock am Wegesrand steht – dazu habe er jetzt, wo er Familie hat, keine Zeit mehr. Dafür wandert er mit der Kamera durch die Sächsische Schweiz und fotografiert mit gelben Flechten bewachsenen Sandstein. 

Wie präzise er dessen Verwitterungsschichten zeichnet, von Nebel umwabert, erinnert an die Expeditionsbilder von Alexander von Humboldt – wären da nicht die bunten Dreiecke, die scheinbar unvermittelt zwischen den Bäumen schweben. Fragmente der Andersartigkeit.

Wie die Beton-Würfel, die nach der Wende auf einmal mitten in der Landschaft standen. Möbelhäuser und Einkaufszentren mitten in der Natur. Wie die Architektur sich damals verändert habe, das habe ihn sehr geprägt, erzählt Wieland Payer, der als Einflüsse für das „wilde Gemisch“ in seinen Werken die Digedags („sind für mein naturwissenschaftliches Interesse verantwortlich“) ebenso benennt wie den nach Harmonie strebenden Ästhetizismus in den Bildern des amerikanischen Malers James McNeill Whistler. 

Und die ornamentalen Textil-Schablonen für Kimonos, die er neulich in Dresden sah, ebenso wie Wasserspritzer auf den Pool-Bildern von David Hockney. Oder die Formen des Art Déco („der letzte große Stil vor Glas und Stahl“), die ihn zu einer Skulptur inspirierten, die wie ein zackiger weißer Kiefernzapfen mitten in der Galerie steht. 

Er zeichnet nicht mehr mit Pastell auf Papier wie in seiner zarten Serie vom Lago Maggiore, sondern auf Grundierung: bunter, kräftiger – und größer. Für die Ausstellungen in  Quedlinburg, Erfurt und Dresden 2016 will er richtig große Formate malen, „so dass sie gerade noch durch meine Tür passen.“

 

 
Der Maler Wieland Payer präsentiert in der Galerie Rothamel in Erfurt seit dem Wochenende Landschaftsbilder. Es ist die Wiedererweckung der Romantik. Die grünen Arbeiten weisen weder Pathos noch Kitsch aus, dafür aber einen starken Einfluss durch Science Fiction.
Erfurt. Es gab an seiner Schule in London, vertraut Wieland Payer im TA-Gespräch an, durchaus "ein paar ältere Hasen aus der Konzept-Ecke", die seinen romantischen Bildern ablehnend gegenüberstanden. Freimütig räumt der junge Künstler ein: "Ich bin ein Romantiker." 

Das ist nicht schwermütig gemeint, auch nicht ironisch. Denn die Quellen der Romantik sind bei Wieland Payer andere als die eines Caspar David Friedrich. 1981 in Erfurt geboren, studierte Payer zunächst an der Burg Giebichenstein in Halle und danach an der Accademia di Belle Arti in Rom. Derzeit absolviert er eine Master-Ausbildung am Royal College auf Art in London.  

Entsprechend unterschiedlich sind seine Perspektiven, sich die Welt zu erschließen. Sie werden gespeist von der Waldlandschaft, die er oft in Thüringen durchwandert hat, den Ikonen der Romantik und dem russischen Science Fiction. Galerist Jörk Rothamel führt dafür als Beispiel das Buch "Picknick am Wegesrand" von Arkadi und Boris Strugatzkisowie die Verfilmung durch Tarkowski unter dem Titel "Stalker" an. 
 
So setzt Wieland Payer dem ungebremsten Fortschrittsdenken, der von einer ewigen Verfügbarkeit der Natur ausgeht, eine Vergänglichkeit entgegen. Da umrahmt zum Beispiel ein ICE-Fenster den Blick auf den Hag. Oder ein Swimming Pool begrenzt den Wald. Kohle, Pastell und Papier sind dabei die Mittel der Vergegenwärtigung. Keinesfalls glänzen schwere Ölfarben. Nur im Unterholz ist wie die Bedrohung in einem Horrorfilm ein roter Schatten auszumachen. 

Dass nahezu keine Personen dargestellt sind, verstärkt die Empfindlichkeit der Landschaft. Der Mensch wäre nur ein Einbrecher. Für Wieland Payer ist es "genug, wenn der Mensch als Beobachter vor dem Bild steht". Es gehe ihm um die Einsamkeit vor der Natur. "Da muss man nicht wie Caspar David Friedrich einen Stellvertreter hineinsetzen." 
 
Mehr als 20 Arbeiten sind in Erfurt zu sehen, darunter auch eine Serie fantastischer Bäume. Die buschigen Riesengewächse sollen eine Exotik der Ferne vermitteln. Kaum zu erkennen ist davor eine klitzekleine menschliche Gestalt mit einer Messlatte. Es sei dies die Referenz an unerschrockene Entdecker wie Georg Foster und Alexander von Humboldt, erklärt Jörk Rothamel und vergibt auch Wieland Payer den Titel "Gentleman Explorer". 

Dass der junge Künstler über eine derartige Disposition in der Familie verfügt, dürfte trotzdem ein Zufall sein. Ein Vorfahr, Julius von Payer, war im 19. Jahrhundert im Auftrag der k.u.k. Monarchie Expeditionsleiter bei der Entdeckung des Kaiser Franz Josef Land im Nordpolarmeer. Im Jahre 2012 plant Wieland Payer eine Reise nach Spitzbergen. Ob er dort wie in seiner Fantasie der Bäume eine Welt vor der Kolonisierung vorfindet, darf man bezweifeln. 

Ohnehin hat sich durch den Aufenthalt in Großbritannien die Neigung verlagert. Weniger der Wald fesselt ihn derzeit, wie Wieland Payer berichtet, sondern die "betonbrutalen Bauten in London". 
 
Womöglich ist dieser Einfluss im Sommer bereits zu betrachten, wenn er zur Erreichung des Mastertitels in London ausstellt.

Der Gentleman Explorer ist eine rar gewordene Spezies. Zu ihren ersten Vertretern zählten Georg Forster und Alexander von Humboldt, unerschrockene Forscher, kultivierte Geistesmenschen und Künstler zugleich. Sie waren in der Lage, neue Welten zu entdecken, plastisch zu beschreiben und ihren Zeitgenossen aufzuzeichnen. Sie beschäftigten die Phantasie ganzer Völker und schufen Vorstellungswelten, die jahrzehntelang hielten.

Wieland Payer ist ein Wiedergänger dieses Menschentyps voller Phantasie und Unternehmungslust. Seine brillanten Drucke und Zeichnungen bilden entlegene Gebiete mit merkwürdigen Kulturen ab.

Eine erste Expedition führte ihn in den Kaukasus; seine neueren Reisen versetzen ihn in immer abwegigere Terrains, deren Glaubwürdigkeit  zunimmt, je weiter das Oeuvre des jungen Künstlers sich entwickelt. Einige der von Payer besuchten Kontinente scheinen von dem jungen Georg Forster schon einmal aus der Ferne gesichtet und gezeichnet worden zu sein. Payer geht es „ums Sehen und Staunen, ums Beobachten, vor allem ums Vermessen und Sammeln“, schrieb sein Professor Uwe Pfeiffer.

Payers neueste Serie „Bondasca“ beschäftigt sich mit der „Zone“, jenem rätselhaften von Außerirdischen besuchten Gebiet, in welchem es von wunderbaren Artefakten, aber auch tödlichen Fallen wimmelt. Arkadi und Boris Strugatzki beschrieben diese Landschaft in „Picknick am Wegesrand“, Andrej Tarkowski setzte ihr 1978 mit seinem Film „Stalker“ ein cineastisches Denkmal. Wieland Payer transponiert die hypnotischen Motive des russischen Meisterregisseurs ins Engadin und Bergell, wo der Vorromantiker Caspar Wolf (1735-83) die frühesten Hochgebirgsbilder der Kunstgeschichte malte.

Payers Synthese von Science Fiction und romantischer Wahrnehmung entspringt keinem Zufall: Die Masterarbeit des jungen Künstlers gilt der deutschen Romantik. Die atmosphärische Dichte und Perfektion seiner Bondasca-Serie verweist auf Carl Blechen, ihre metaphysische Qualität auf Caspar David Friedrich. Auch die „romantische Ironie“ kommt nicht zu kurz – „Pioniere“, groteske Pflanzenwesen, scheinbar psychedelischen Visionen verrückter Illustratoren entsprungen, besiedeln die unwirtlichen Felsgelände der Schweizer Hochalpen.

Wieland Payer ist Landschaftsmaler, oder besser gesagt, Landschaftszeichner mit einem Hang zur Druckgrafik, von der er kommt. Aktuelle Arbeiten entstehen meist in Pastell auf Bleistift oder Kohle und zeichnen sich durch eine detaillierte Exaktheit in der Wiedergabe der Natur aus.
 
Ausschnitte und Perspektiven seiner Landschaftsansichten sind so gewählt, dass der Eindruck entsteht, der Künstler sei selbst dabei gewesen; er sei auf Expeditionsreise gerade durch ein Dickicht geschlüpft und habe fasziniert den atemberaubenden Blick auf ein Tal oder einen Berg skizziert und später im Basislager daraus eine bildmäßige Komposition geschaffen. Oder als habe er sich bei den älteren Kleinformaten, den Pionieren und den Baumartigen, tatsächlich vor Ort auf einem Klapphocker die Zeit genommen, diese unbekannten Gebilde zwischen Exotik, Mutation und Science-Fiction möglichst genau zu erfassen, aus naturkundlicher Neugier und im Bewusstsein, sich unter Umständen in Gefahr zu begeben.
 
Der Künstler ist tatsächlich dabei gewesen, aber meist nicht mit dem Skizzenbuch, sondern mit der Kamera. Wieland Payer ist ein leidenschaftlicher Reisender und tatsächlich viel in den Bergen unterwegs. Zu der jüngsten Serie von Arbeiten mit dem Titel Colloro hat ihn ein Aufenthalt am gleichnamigen Ort in der Nähe des Lago Maggiore inspiriert. Hier entstanden in den Bergen die fotografischen Vorlagen, die durch ihren spezifischen Blick Teil des künstlerischen Konzeptes sind. Dazu später mehr.
 
An Wieland Payers Landschaften fallen zwei Eigenschaften sofort auf. Sie sind in der Regel menschenleer, und irgendetwas stimmt mit ihnen nicht. Sonderbare Phänomene prägen die Naturansichten: Einzelne fremdartige Pflanzen, optische Täuschungen oder Lichtreflexe, Himmelserscheinungen, sich unnatürlich auftürmende Wolken, große geometrisch angelegte Flächen von eigenartiger Künstlichkeit, über die Bildfläche verteilte farbige Punkte, die sich den Landschaften nicht sinnvoll zuordnen lassen, futuristisch anmutende Architekturen, Gebäude aus nacktem Beton, manchmal schon im ruinenhaften Zustand, sendemastartige Türme und rätselhafte verlassene Siedlungen, manchmal auch Gegenstände, die nicht von dieser Welt sind. Oder die lediglich nicht in der äußeren Wahrnehmungswelt vorkommen, sondern innere Projektionen sind, Visualisierungen des Unvorstellbaren oder des Bedrohlichen, sei es nun etwas von außen oder aus uns selbst. In die Kunst sind diese inneren Vorstellungsbilder vor 100 Jahren mit der Erfindung der Abstraktion gelangt. Gerade die geometrischen Formen, die Raster und farbigen Punkte, die sich in Wieland Payers Bildern flächig und scheinbar ohne jeden Bezug zur Darstellung über oder hinter die Landschaft legen, können auch als rein ungegenständliche Bildelemente gelesen werden, die nur eine innerbildliche „ästhetische“ Funktion haben. Allerdings sorgt der präzise Naturalismus in Verbindung mit der suggestiven Atmosphäre der Bilder dafür, dass der Betrachter die ungegenständlichen Bildteile als gegenständlich lesen möchte, wodurch sie ihre reale Fremdartigkeit noch steigern.
 
Da gerade in jüngerer Zeit Wieland Payers Bilder natürliche Landschaften zeigen, denen das Dramatisch-Heroische abgeht, haben die hineinmontierten Erscheinungen eine besonders irritierende Wirkung, die deutlich geringer ausfiele, wenn der Künstler seine Landschaften von Anfang an als überbordende Fantasy-Schauplätze konzipiert hätte. Der Kontrast, der aus der Kombination einer natürlichen Alpenlandschaft mit dem Andersartigen resultiert, ist so dosiert, dass die Darstellungen zwar befremdlich wirken und zum Teil beklommen machen, aber keineswegs unsinnig und unmöglich erscheinen – im Gegenteil.
 
Was uns Wieland Payer vor Augen führt, sind Gegenden, in die eingegriffen wurde, mit irgendetwas und durch irgendjemanden. Nur was dort wirklich vor sich geht, wissen wir nicht. Aber die Kombination aus fotografischem Blick und zeichnerischer Ausführung suggeriert uns, ziemlich sicher sein zu können, dass es wahr ist, dass uns hier ein Naturforscher, ein wissenschaftlicher Zeichner im Gefolge oder in der Nachfolge eines Georg Forster und Alexander von Humboldt Beobachtungen schildert, die er mit eigenen Augen oder entsprechendem optischen Gerät gesehen haben muss, und die wir heute aus der gewohnten Perspektive des Fotografischen als umso authentischer empfinden. Dass die Orte menschenleer sind, könnte ein Hinweis darauf sein, dass der Künstler allein unterwegs war, aber auch anzeigen, dass der Mensch in den Bildern nichts zu suchen hat, weder als romantische Rückenfigur noch als Akteur, der hier höchstens Gefahr liefe, kontaminiert zu werden. Vielleicht ist der Mensch in den Zonen der Beobachtung schlichtweg nicht mehr anwesend. So schleicht sich eine zeitliche Dimension in die Bilder, die sie in die Zukunft verweisen kann, in der es keine Menschen mehr geben mag. Oder ist doch die Gegenwart gemeint? Der Künstler spricht selbst von einem gewissen „apokalyptischen Feeling“, wenn er an die Zerstörung der Natur denkt, nicht zuletzt verursacht durch einen architektonischen Brutalismus, wie er auch in einigen Werken vorkommt, aber in manchen Fällen funktionieren Payers Prospekte auch als Seelenlandschaften und Stimmungsmetaphern im Sinne der 200 Jahre zurückliegenden Romantik.
 
Die Beziehung von Wieland Payers Landschaften zu Bildern der Romantik ist hergestellt worden. Das Panorama oder auch der engere Blick in einen Wald, die diffuse Farbigkeit und die Stille und Unberührtheit sind dafür anführbar. Von Caspar David Friedrich und einer bestimmten düsteren landschaftlichen Ausprägung der „Schwarzen Romantik“ ließe sich der Weg über Arnold Böcklins symbolistische Naturauffassung und die surrealistischen Alptraumwälder bei Max Ernst bis hin zu den heutigen „Wunschwelten“ eines Peter Doig oder David Thorpe weiterführen.
 
Wieland Payers künstlerisches Vorgehen ist dabei allerdings subtiler als das der erwähnten Vorgänger und Kollegen, auch nüchterner, weil er weder schockierende Weltuntergangsszenarien noch schmerzvolle Selbstreflexionen entwirft, sondern nur das mit gefesseltem Blick und ruhigem Puls festhält, was er an natürlichen und unnatürlichen, für das menschliche Auge sichtbaren und unsichtbaren Phänomenen, deren Auswirkungen offen bleiben, aufnimmt, in einem konstanten Zyklus des Werdens und Vergehens der Natur und der Welt, was den Künstler als Denkfigur fasziniert und als Ausblick beruhigt. Auch Andrei Tarkowskis Science-Fiction-Klassiker Stalker und dessen literarische Vorlage der Brüder Arkadi und Boris Strugatzki, Picknick am Wegesrand, sind schon mit Payers Bildern in Zusammenhang gebracht worden. Bestimmte inhaltliche und atmosphärische Parallelen sind nicht von der Hand zu weisen. Wenn der Trupp von Schatzsuchern im Buch der Brüder Strugatzki in die außerirdisch kontaminierten Zonen aufbricht und dort auf die gefährlichen Hinterlassenschaften der Erdbesucher trifft, so geschieht das alles in fast selbstverständlicher Beiläufigkeit, denn man hat sich an das völlig Unvorstellbare eines außerirdischen Besuches schon gewöhnt.
 
Auch Wieland Payers Bilder wirken auf den ersten Blick wenig dramatisch und bedrohlich. Es sind nüchterne Schilderungen uns fremder Vorkommnisse, die aus wissenschaftlichen Gründen erst einmal erfasst werden müssen, bevor man sie weiteren Analysen unterzieht. Wobei keineswegs klar ist, dass es sich bei den sonderbaren Erscheinungen um außerirdische Einwirkungen handelt. Sie können auch irdischen Ursprungs sein, vielleicht die Visualisierung einer bestimmten natürlichen oder künstlichen Strahlung, vielleicht die Sichtbarmachung einer flächendeckenden Kommunikations- oder Überwachungstechnologie – wer weiß. Darüber hinaus funktionieren Wieland Payers Landschaften auch als Bilder und kluge Kommentare zur Kunstgeschichte, die ihre medialen Entstehungszusammenhänge reflektieren und souverän aus dem Arsenal des 20. Jahrhunderts schöpfen: Selten begegnen sich in der zeitgenössischen Malerei Figuration und Ungegenständlichkeit so selbstverständlich wie hier. Dass sich der Künstler gestalterischer Mittel bedient, die die Beweiskraft der Bilder verstärken, ist zudem ein suggestiver Kniff. Die Kombination aus fotografischem Blick, zeichnerischer Erfassung als historischem Medium der Wissenschaft sowie einer gute Portion an undramatischer Bestimmtheit und kompositorischer Reduktion vermittelt dem Betrachter ein hohes Maß an Wahrhaftigkeit. Dies erinnert ein wenig an das Prinzip der Verwendung von Fotografien im Surrealismus, denn die Überzeugungskraft der imaginierten Bilder aus Fotomontagen und technischen Experimenten gründete trotz aller Verfremdung stets auf dem beglaubigenden Charakter des fotografischen Dokuments. Die feine Schilderung des Unmöglichen, die sowohl die Welt sein kann als auch nur Bild aus Gegenständlichkeit und Abstraktion, macht den künstlerischen Stellenwert von Wieland Payers Arbeiten aus.