Dana Meyers Skulpturen zeichnen sich durch hohe Spannung, kraftvolle Dynamik und anatomische Präzision aus. Sie stellen Tiere und Menschen dar, einzeln, in Gruppen, zuweilen in Fragmenten. Meyers Arbeiten sind realistisch und expressiv, eindringlich in der Aussage, teils metaphorisch wirkend, teils porträthaft.
Dana Meyer schmiedet ihre Skulpturen – genauer: Plastiken - freihändig aus Stahl. Sie verzichtet auf die Anfertigung plastischer Entwürfe. Diese virtuose Methode erfordert neben außergewöhnlichem räumlichen Vorstellungsvermögen hohes handwerkliches Können.
Zwischen menschlichen und tierischen Figuren erkennt Dana Meyer eine „Leibverwandschaft“, welche die Grenzen zum Tierreich aufhebt. Die Künstlerin schreibt: „In Allegorien und Metaphern erkennen Menschen sich als Tiere mit deren Eigenheiten, Wesensarten und Archetypen. Das Ineinander und Zugleichsein von Erlebten in diesen Bildwelten ist unmittelbarer. Die Figur greift damit auf etwas Erfühltes und ein individuelle Reminiszenz zurück und wird so in ihren dargestelltem Charakter zu etwas Vertrautem.“
Einzeln geschmiedete Segmente verschweißt die Künstlerin zu Figuren. Den Zwischenräumen und offenen Volumina mißt sie ebenso viel Bedeutung zu wie den stählernen Partien. Alle gemeinsam bilden die Skulptur und ihr wahrzunehmendes Kraftfeld.
Das Prinzip des unsichtbaren Kraftfeldes setzt Dana Meyer bereits in ihrer ersten großen Komposition wirkungsvoll ein, den 2011 als Diplomarbeit entstandenen „Eisläufern“: Eine fast lebensgroße Gruppe, einen Mann und vier Hundegestalten darstellend, zieht eine unsichtbare Last, wohl einen Schlitten. Obwohl nicht bildlich präsent, ist das Gefährt der logische Ankerpunkt der gesamten Komposition.
Schon in dieser frühen Skulpturengruppe formuliert Dana Meyer eine weitreichende ideologische Position. Sie entzieht dem Menschen, welchen sie ohne Gesicht abbildet, die Protagonistenrolle und stellt ihn mit den Zugtieren auf die gleiche Stufe. Sie entwirft eine neue Hierarchie, in welcher Homo Sapiens seinen Platz an der Spitze abgibt.
Den Akt des Verzichts auf die „Krone der Schöpfung“ setzt die Künstlerin 2013 mit der Figur „Der aufsässige Aaron“ ins Bild. Aaron tauscht sein Haupt gegen einen Stierkopf. Er distanziert sich gleichsam von seiner Menschennatur und vollzieht einen Akt der Verschmelzung mit dem Kreatürlichen. Die 2013 fertiggestellte Gruppe „Schweine“ rollt die gleiche Idee vom anderen Ende auf. Die Tiere der Rotte erweisen sich als neugierige Individualisten mit menschlich wirkenden Vorlieben und Lastern.
Eine noch radikalere Aussage postuliert die Künstlerin in der 2014 fertiggestellten „Fuchsjagd“. Zwei Wölfe oder Wolfshunde greifen eine ebenfalls gesichtslose Menschengestalt an. Der Mensch strauchelt, der Ausgang der Jagd und sein Schicksal als Beute sind unzweifelhaft. Im gleichen Jahr vollendet Dana Meyer „Mensch trägt Pferd“, eine Figurengruppe, die ihre Ansichten weniger aggressiv, aber ebenso anschaulich demonstriert.
Die Schlucht“ (2016) vervollkommnet den Ansatz des „Eisläufers“ und thematisiert das Unsichtbare auf eindrucksvolle Weise. Eine Gruppe aus fünf meisterhaft gearbeiteten Antilopenfiguren von lebendiger Dynamik steht für eine Herde auf der Flucht, die auf einen Abgrund stößt. Die vorderen Tiere scheuen, die hinteren drängen nach. Die Skulpturengruppe befindet sich seit 2019 im Skulpturenpark Eschborn.
2017 nahm Dana Meyer unter dem Titel „It’s Me“ eine Folge von Primatenportraits in Angriff. Ausgangspunkt waren Erkenntnisse zu Ich-Bewußtsein und Metakognition bei Tieren. Paradoxerweise entfernt die Serie sich weiter von naturalistischer Darstellung als alle bisherigen; große Partien der Portraits formieren sich zu abstrakten Segmenten aus gewölbter Fläche und Raum, Schatten und Licht. Erstaunlicherweise gelingt es der Künstlerin auf genau diesem Wege, den Eindruck einer sehr lebendigen, einer bewußten Präsenz zu erzielen.
Im folgenden Jahr enstand die Figur des „Arapides“. Sie bezieht sich auf den Brauch der Vertreibung der „Kallikantzaroi“, der Mittwintergeister, in dem griechischen Ort Volakas. Die Arapidendarsteller verwandeln sich mittels Schaffellen und anderem Mummenschanz in tierähnliche Wesen und schwärzen ihre Gesichter, legen de facto ihre menschliche Identität beiseite, indem sie Körper und Mimik verbergen. Dana Meyers Arapides ist anders. Eine schlanke und muskulöse Figur steht, den Oberkörper nach links gedreht, in sehr labilem Gleichgewicht schräg auf dem linken Bein. Statt des Kopfes trägt sie einen Tubus. Den Kontext dieser Figur legt Dana Meyer bisher nur ansatzweise offen. Dass die Künstlerin mit künftig Schlüssel zur Deutung liefert, und zwar ähnlich, wie auch die Grammatik ihrer bisherigen Arbeiten sich stufenweise erschloß, ist angesichts ihrer konsequenten Arbeitsweise gut möglich.
Vor ihrer Ausbildung an der Burg Giebichenstein studierte Dana Meyer Geschichte, Literatur- und Kulturwissenschaft. Kleine Publikationen zeugen ebenso von ihrem Sprach- und Wortwitz wie die Titel vieler ihrer Werke. Sprache begreift sie als Koordinatensystem zur Orientierung und Positionierung in Geschichte und Gesellschaft und spielt virtuos mit ihren assoziativen Möglichkeiten.
Ein anschauliches Beispiel dieser gattungsübergreifenden Fusion liefert Dana Meyers „Südpazifikexpedition“, eine in den letzten sechs Jahren entstandene (und sich weiter vermehrende) Gruppe kleiner Metallplastiken. Es handelt sich um Darstellungen von Phantasieinsekten, angeblich zwischen 1906 und 1910 bei einer fiktiven Südpazifikexpedition gefangen und in antiquierten Weckgläsern verwahrt. Die Namen der „entdeckten“ Krabbeltiere sind zunächst beschaulich wie die Reiseliteratur der Zeit, („Weiße Doppel-Trompetenmücke“), aber umgehend wird es absurd („Diabolische Pillenwespe“) und grotesk („Buckliger Marktsauger“). Beigefügte lateinische Bezeichnungen und penible Gattungszuordnungen schaffen ein scheinbar wissenschaftliches Umfeld. Die Fundorte und Jahreszahlen („Sulavesi Utara, 1906“, „Ona Liau, 1907“) verweisen auf entlegene Orte und unerreichbare Zeiten. Von Bildhauerei und Literatur erzeugt, entsteht eine sagenhaft komplexe Traum- und Vorstellungswelt.
Dana Meyer (*1982) studierte Bildhauerei an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein Halle, wo sie 2011 ihr Diplom erwarb und bis 2014 ein Meisterschülerstudium absolvierte. 2011 erhielt sie den Kunstpreis der Saalesparkasse, 2012 Stipendien des Klosters Bergesche Stiftung und der Kunststiftung Sachsen-Anhalt, 2014 gemeinsam mit Undine Bandelin den Kunstpreis der Stadt Limburg, 2015 den Grafikpreis der KSP Nordhausen, 2018 ein Stipendium des Landes Sachsen-Anhalt und 2019 den Award der Alexander-Tutsek-Stiftung für die Pilchuck Glas School in Seattle (USA).
An einem verregneten Märztag empfängt uns die Bildhauerin Dana Meyer in ihrem im Westen der Leipziger Innenstadt gelegenen Atelier. Ein langer Flur im Parterre des charmanten Altbaugebäudes führt uns zu einer ihrer Hauptarbeitsstätten: dem Hinterhof. Stahlplatten- und stäbe lehnen und liegen als verstreute Ansammlungen am umgrenzenden Mauerwerk. In der Mitte des Hofes, an einem provisorischen Stahlgestell befestigt, erwartet uns eine noch unvollendete Arbeit in Form eines Krokodilkopfes. Sein mit bedrohlich scharfen Zähnen ausgestattetes Maul ist weit aufgerissen; bereits zugeschnittene Metallstücke liegen für dessen Fertigstellung parat. Zwei daneben abgestellte Pferdeskulpturen sind teilweise mit Spanngurten versehen und so allzeit bereit für einen Transport. Regentropfen fließen an ihren stählernen Leibern herab und lassen deren rötlichbraunen Farbton aufglänzen.
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Frau Meyer, wieso arbeiten Sie vorwiegend mit dem Werkstoff Stahl und wie verhält sich dieses Material im Entstehungsprozess Ihrer Arbeiten?
Mir gefällt, dass der Stahl so widerspenstig ist, einem etwas entgegensetzt und dadurch auch gleichzeitig mitarbeitet. Da man das Material nicht beliebig biegen kann, bestimmt es gewissermaßen die Form der Skulptur mit. Es ist mir nicht möglich, zum Beispiel eine aus Stahl geformte Wirbelsäule endlos lange zu biegen – es entstehen dabei Grenzen, auf die ich reagieren muss.
Ein anderer Grund besteht darin, dass mir oft gesagt wurde, dass man aus Stahl nicht so viel herausholen könne wie aus Stein oder Holz und es nie dieselbe Lebendigkeit haben würde. Das war für mich ein zusätzlicher Ansporn.
Sehen Sie den Stahl demnach als etwas Lebendiges an?
Durchaus. Das Material ist schon uralt und etwas, das die Menschheit schon lange begleitet sowie deren Entwicklung beeinflusst hat. Ich empfinde den Stahl als organisch und lebendig; durch die natürliche Witterung entwickelt sich das Material weiter und bildet eine einzigartige Färbung aus.
Ihr Arbeitsprozess – das freihändige Schmieden Ihrer Stahlarbeiten – ist ungewöhnlich. Können Sie Ihre Technik kurz erläutern?
Aus – meist gefundenen – Stahlplatten schneide ich einzelne Teile aus, fertige Schmiedeteile an und setze sie anschließend wie ein Puzzle zusammen. Das Schöne am Metall ist, dass ich etwas hinzufügen, aber auch jederzeit wieder abschneiden kann. Das ist anders als bei BildhauerInnen, die etwas aus Stein oder Holz herausarbeiten – wenn sie etwas weggenommen haben, ist es auch weg. Ich aber bin eine, die gerne aufbaut und es würde mir schwer fallen, von Anfang an die fertige Skulptur bereits vor Augen haben zu müssen.
Der Arbeitsprozess erfolgt insofern deutlich intuitiver. Die Arbeit selbst entsteht aus dem Prozess heraus und nicht auf der Grundlage eines bereits bestehenden Modells. Ich arbeite Stück für Stück und entscheide auch Stück für Stück, wie die Bewegungsrichtungen sind und was für eine Ausdehnung das Werk annehmen soll. Zum Teil höre ich auch bereits bei dem Kopf einer Figur auf oder ich entscheide mich dazu, eine riesige Skulpturengruppe daraus zu machen.
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Gemeinsam betreten wir den zweiten, im Inneren des alten Gebäudes gelegenen Teil von Dana Meyers Atelier, den sie sich mit einem Künstlerkollegen teilt. Sorgsam aufgereiht hängt ihr Werkzeug an den Wänden des kleinen Raums – Feilen und Zwingen, Sägen und Zangen, Hämmer und Schleifgeräte – alles ist an seinem Platz. Auf einem Arbeitstisch steht eine Sammlung von Einmachgläsern, in denen – obwohl sie künstlerische Objekte phantastischer Natur sind – täuschend echte Insekten umher zu krabbeln scheinen.
Inwiefern unterscheidet sich die Arbeitsweise Ihrer großformatigen Skulpturen von der Herstellung Ihrer kleinen Arbeiten, den Insekten der Südpazifikexpedition?
Rein technisch ist es so, dass die großen Skulpturen geschmiedet werden, also das Metall heiß gemacht wird. Bei den Insekten ist es hingegen eine sogenannte Kaltverformung. Das Metall lässt sich relativ leicht verbiegen und treiben und muss nicht zuerst erwärmt werden; es ist wesentlich filigraner. Ich kann viel mehr mit den Materialien – beispielsweise durch das Hinzufügen von Einmachgläsern – spielen und infolgedessen auch mit der Materialität, indem ich verschiedene Farben auftrage. Große farbige Stahlskulpturen kann ich mir einfach nicht vorstellen, im Kleinen funktioniert das jedoch gut.
Wie kamen Sie auf die Idee für Ihre Südpazifikexpedition eine fiktive Reise zu erschaffen? Wovon haben Sie sich inspirieren lassen?
Es ist eine Art Humboldt’scher Gedanke: das Bedürfnis der Menschen Dinge zu sammeln, einzuordnen und zu verstehen. Bei der Südpazifikexpedition wird das Verlangen der Menschen, die Grenzen der Welt zu überschreiten, dargestellt.
Als spannend empfinde ich außerdem die Nasssamlungen der Naturkundemuseen. Gleichzeitig ist man fasziniert, aber es herrscht auch Ekel. Da einen das Glas zugleich vor seinem Inhalt beschützt, kann man ihn sich gefahrlos ansehen. Ich selbst werde bei der Südpazifikexpedition zu einer Person, die diese Reise macht und von der Faszination der Insekten sowie der Lust am Sammeln ergriffen wird. Im Mittelpunkt steht der Forscher- und Wissensdrang, das Bestreben zu kategorisieren und zu präsentieren.
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Wir fahren in ein kleines Dorf, das eine halbe Stunde von Leipzig entfernt liegt. Stille empfängt uns, als wir das großflächige Gelände erreichen, auf welchem Dana Meyer ihre fertiggestellten Kunstwerke verwahrt beziehungsweise einlagert. Auf einer Rasenfläche steht ein halbes Dutzend ihrer großformatigen Arbeiten. Wie ein verwunschener Skulpturengarten im Nirgendwo mutet der Anblick an. Unter anderem ist der Caretaker zu sehen: aufmerksam, so scheint es, taxiert der stählerne Wachhund seine Umgebung, als wäre er darauf bedacht sein Territorium zu beschützen. Mensch trägt Pferd ragt vor einer ausladenden Eibe empor und das Liegende Pferd komplettiert die surreal wirkende Zusammenstellung.
Die Tierplastik steht im Mittelpunkt Ihres Œuvres. Gab es konkrete Impulse, welche Sie dazu inspirierten, sich dem Tier als primärem Darstellungsgegenstand zu widmen?
In erster Linie verwende ich die Tiere als Metaphern beziehungsweise Allegorien. Ich habe den Eindruck, dass Tiercharakteristika konzentrierter zur Geltung kommen können, als wenn ich beispielsweise einen Menschen bei einer ängstlichen Flucht darstellen möchte. Eine formale Herausforderung besteht allerdings in den unterschiedlichen Proportionsverhältnissen von Tieren, während die Proportionen von Menschen hingegen im Großen und Ganzen immer die gleichen sind. Volle Konzentration kann ich wiederum beim Tier auf bestimmte Merkmale legen, beispielsweise auf das Maul oder den Oberkörper, und dafür zulassen, dass ich vielleicht eine Pfote oder einen Huf als bloße Andeutung belasse.
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Lächelnd erzählt uns Dana Meyer, dass es in den Frühlingsmonaten in ihrer grünen Idylle bereits vorgekommen ist, dass sich Vögel im Inneren der Skulpturen eingenistet haben. Nachdem wir die im Außenraum stehenden Arbeiten ausgiebig betrachtet haben, betreten wir ihren zweiten Lagerort: einen ehemaligen Tanzsaal. Der Boden des länglichen Backsteingebäudes ist mit knarzendem Fischgrät-Parkett ausgelegt. Große aus Stahl gefertigte Tierfelle lehnen an der Wand, auf der Fragmente von Freskomalereien aus früheren Zeiten vorhanden sind. In der Mitte tummeln sich vergnügt die skulpturalen Schweine der Künstlerin. Einen in Luftpolsterfolie eingewickelten „Hirschkopf“ enthüllt Dana Meyer behutsam für uns.
Sie haben bereits erwähnt, dass Sie keine Skizzen anfertigen. Wie genau kann man sich den beginnenden, den anfänglichen Entstehungsprozess einer Arbeit vorstellen? Ist in Ihrer Vorstellung zuerst das Tier da oder zum Beispiel nur die Vorstellung von Weichheit, so wie bei Ihren Schweinen?
Also das ist sehr unterschiedlich. Wenn man jetzt bei der Weichheit der Schweine bleibt, war da schon das Bedürfnis, dem Stahl etwas Weiches zu geben und die Muskeln im Vergleich zu den anderen Tierplastiken wie etwa den Pferden wieder zurückzunehmen. Ich hatte den Wunsch, diesen kalten und stählernen Körpern etwas entgegenzusetzten. Der nächste Schritt dabei den Stahl etwas auszutesten, bestand in dem Zarten und Filigranen meiner Skulpturengruppe der Antilopen, wodurch ich ihnen auch das Kräftige nehmen konnte, wie es bei den Schweinen dann durchaus in der Masse geschieht.
Ihre Tierplastiken treten auch in Kombination mit menschlichen Figuren auf. Dabei geht es unter anderem um Verfahren der Domestizierung oder Verhältnisse der Dominanz. Inwiefern wird das Thema der Macht in Ihren Arbeiten konkret versinnbildlicht?
Wenn man sich allgemein mit den Dingen, die einem im Leben begegnen, beschäftigt, läuft es immer auf denselben Punkt hinaus: die auftretenden Probleme entstehen durch Machtbedürfnisse von anderen Menschen. Sie sind sozusagen Insignien der Macht Anderer. Und dann gibt es noch verschiedene Dialektiken der Macht ebenso wie unterschiedliche Verhältnisse von Täter und Opfer. In meinem Werk sind Aspekte der Macht enthalten – beispielsweise bei Mensch trägt Pferd. Das betrifft die menschliche Macht über das Pferd, das gezügelt und trainiert wird. So ein Pferd ist groß, kräftig und schnell – es zu beherrschen, ist eine Aussage von Macht. Das Zaumzeug, wie es in meiner Skulptur Scheuklappen zu sehen ist, wird zudem als Begrifflichkeit von Macht verwendet – man „legt jemandem das Zaumzeug an“ oder „jemand wird in Zaum gehalten“. Auch bei der Jagd wird der Machtanspruch zum Ausdruck gebracht, wie durch die Hetze oder in Trophäensammlungen. Der Akt des Tötens ist dabei ebenso ein Akt der Machtausübung.
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Als wir unseren Rundgang beendet haben, beschließen wir in ein nahegelegenes Café zu fahren, um dort die noch letzten offenen Fragen zu klären. Eine wärmende Tasse Kaffee beziehungsweise Tee in den Händen haltend schließen wir die Klammer zu den Anfängen der Kunst in Dana Meyers Œuvre und sprechen sie auf ihre frühesten Arbeiten an.
Sind Sie bereits während Ihres Studiums zu den Tierdarstellungen gekommen und hatten Sie dafür künstlerische Vorbilder?
Nicht direkt, doch das Bedürfnis diese als Metaphern zum Ausdruck übergeordneter Themen einzusetzen, war bereits im Studium vorhanden. Vielleicht war das auch ein Entwicklungsweg, da ich dort viele Naturstudien gemacht habe. Als erstes habe ich, glaube ich, eine Pferdeskulptur gemacht. Damals bin ich oft an Koppeln vorbeigefahren, vielleicht hat das bei mir einen unbewussten Eindruck hinterlassen.
Vor Ihrem Studium der Bildhauerei an der Burg Giebichenstein in Halle an der Saale haben Sie ein Studium der Geschichte, Literatur- und Kulturwissenschaft an der TU Chemnitz begonnen. Wie kam es zu dieser Umorientierung vom geisteswissenschaftlichen zum künstlerischen Fach?
Nach meinem Abitur fühlte ich mich etwas desorientiert, was mit der allgemein herrschenden Erwartungshaltung, nach dem Schulabschluss ein Studium aufnehmen zu müssen, einherging. Während meines Studiums kam bei mir verstärkt die Tendenz auf, ins Handwerkliche zu gehen; eher zufällig bin ich dann zu meinem Kunststudium gelangt. Ich glaube ein Stück weit ist das Studium der Geisteswissenschaften auch geblieben, da ich während des Entstehungsprozesses meiner Arbeiten stets versuche, mich inhaltlich zu informieren und das vorhandene Wissen aufzunehmen. Bei mir besteht das Bedürfnis, mich zusätzlich zu belesen, Hintergrundwissen zu sammeln oder mich mit Anekdoten aus diesem Bereich zu beschäftigen. Im Nachhinein bin ich ganz froh über meine Erfahrungen im geisteswissenschaftlichen Bereich, denn vielleicht wäre mir das reine Handwerk auch wieder zu wenig gewesen. Das Schöne an der Kunst ist, dass man beides – die künstlerische Praxis und den theoretischen Anspruch – miteinander verbinden kann.
Dana Meyer ist eine Sammlerin. Die Künstlerin bevorzugt es, die Materialien ihrer stählernen Skulpturen als Fundstücke zusammenzutragen. Aus aufgefundenen Stahlplatten und Reststücken schmiedet sie ihre tierischen oder menschlichen Figuren von unterschiedlichster Größe und Wirkung. Analog zu diesem Arbeitsprozess scheint sich auch die Zusammenstellung der inhaltlichen Grundlage ihrer Werke zu verhalten: Bei der Konzeption der stählernen Skulpturen schöpft die Bildhauerin Inspiration aus anekdotischen „Versatzstücken“, die sie durch neugieriges Forschen sowie einen offenen Blick auf verschiedene Medien sammelt. Radio-Features, Reportagen, Zeitungsartikel und Erzählungen bieten nicht selten den Stoff, aus denen sie die erste Idee für eines ihrer Werke entwickelt.
Meyers Serie Wilhelms Große Jagd bildet in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Sie ist vielmehr ein hervorragendes Beispiel für die Art und Weise, mit der die Künstlerin im wahrsten Sinne des Wortes merk-würdige Narrative auswählt, mit tradierten darstellerischen Motiven der Kunstgeschichte verknüpft und schließlich ins Bildwerk übersetzt. Im Fall der rostbraunen Köpfe von Wildtieren, welche die Künstlerin in ihrer üblichen Arbeitsweise aus einem Flickenwerk von Stahlsegmenten zusammenfügt, liegen Erzählungen aus dem preußischen Jagdkosmos zugrunde.
Die im Werktitel genannte historische Persönlichkeit Kaiser Wilhelm II. scheint sich für eine Sammlerin interessanter Anekdoten geradezu aufzudrängen: Dem sprichwörtlich gewordenen „Reisekaiser“ mit einer Vorliebe für prachtvolle Uniformen wurde häufig ein Hang zur Selbstdarstellung attestiert, wodurch er mutmaßlich versuchte, eine Behinderung an seinem linken Arm in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit auszugleichen. Es mangelt nicht an humoristischen, bissigen oder ironisierenden Erzählungen, deren Überlieferung Aufschluss über die Eigen- und Fremdwahrnehmung sowie das politische Gebaren des letzten deutschen Kaisers bieten.
Wilhelm II. versuchte sich auch und insbesondere durch die Jagd hervorzutun. Als schlechter Reiter und gehemmter Schütze musste ihm der prestigeträchtige Jagderfolg jedoch auf Umwegen und mit verschiedenen Hilfsmitteln ermöglicht werden. Hierzu wurden Schusswaffen mit einem besonders schlanken Griff an sein Handicap angepasst. Bei den Drückjagden des Kaisers wurde Hochwild in einen verhältnismäßig kleinen, durch Gatter abgesperrten Bereich getrieben und dort von der „aus allen Knopflöchern feuernden Majestät […] zusammengeschossen.“ Die Ergebnisse dieser Jagden, bei denen der Kaiser vier Flinten abwechselnd schussfertig zugereicht bekam, wurden sorgfältig dokumentiert. Wilhelm II. erlegte im Lauf von vier Tagen 28 Hirsche, 578 Hasen, 60 Wildschweine, 4 Damschaufler, 2609 Fasane und 85 Füchse. Die Zahlen der Jagderfolge von Kaiser Wilhelm II. sind neben solchen Auflistungen in Jagdzeitschriften auch heute noch auf Markierungssteinen in deutschen Wäldern nachzulesen: „Unser durchlauchtigster Markgrafe u Herre Kaiser Wilhelm II. faellete allhier am 12. Octobris a.d. 1904 Allerhöchst seinen 100. edel Hirschen auff der Groß Schoenebeckschen Heyde.“ Aus früheren kaiserlichen Jagdgebieten wie der Schorfheide bei Groß Schönebeck sind heute vielfach Naturschutzgebiete und Biosphärenreservate geworden. Die Jagd, die historisch nur wenigen Mächtigen vorbehalten war, trug hier beinahe ironisch dazu bei, dass die Vegetation vor weiteren menschlichen Eingriffen bewahrt wurde. Diese historischen Randnotizen zu Kaiser Wilhelms Schießleistungen und deren Folgen bewegen sich im größeren Themenfeld der Jagd und damit in einem Motivkreis, dessen Bildtradition vermutlich so alt wie die Kunst selbst ist – wohl nicht zuletzt ein Grund für Dana Meyer, derartige Erzählungen zum Mittelpunkt ihrer Serie zu machen.
Bereits auf Felsmalereien in der spanischen El-Castillo-Höhle, deren Alter nach neueren Untersuchungen auf mehr als 65.000, mindestens aber 30.000 Jahre geschätzt wird, sind ein von Speeren getroffener Bison und ein in die Falle geratener Hirsch zu erkennen. Derartige Darstellungen markieren den frühesten bisher bekannten menschlichen künstlerischen Ausdruck, so dass die Relevanz des Jagdmotivs für die Menschheit sich allein schon an seinem Alter verdeutlicht. Neben den prähistorischen Malereien gejagter Tiere reichen die Abbildungen der Jagd in der Kunstgeschichte von mythologischen Darstellungen und Jagdgottheiten bis zur Verknüpfung mit christlicher Ikonografie. Hier wird der gejagte Hirsch zum Symbol Jesu Christi, der den Opfertod stirbt. In der mittelalterlichen Kunst spielte die Jagd eine herausragende Rolle, ganz besonders bei der Konstruktion und repräsentativen Inszenierung höfischer Leitbilder sowie der Sicherung des Vorrechts der Herrschenden. In der Kunstgeschichte durchlief das Jagdmotiv zahlreiche Bedeutungsebenen von allegorischen und moralischen Sinngehalten bis hin zu erotischen Anspielungen. In neuerer Zeit mag es eher der „röhrende Hirsch“ in kitschig-idyllischen Landschaften und von schweren goldenen Schnörkeln umrahmt sein, der ins Gedächtnis tritt, wenn von der Jagd in der Kunst die Rede ist. Trotz der deutlichen Veränderung des Stellenwertes der Jagd als Kulturpraktik kann das Bildthema weiterhin ein interessanter Gegenstand für die zeitgenössische Kunst sein.
Die Jagd hat sich in der Geschichte von der unmittelbaren Existenzsicherung durch die Beschaffung von Rohstoffen für Nahrung und Kleidung bis hin zur Sicherung von Besitz und Status entwickelt. Welche Personenkreise in welchen Bereichen jagen durften, bestimmten die Herrschenden und diese hielten auch damit über lange Zeit die Ungleichheit der Ständegesellschaft aufrecht. Der Jagd liegt demnach historisch begründet ein Ausdruck von Herrschafts- und Machtverhältnissen inne. Dies betrifft nicht nur das Verhältnis von jagendem Menschen und gejagtem Tier, sondern spielt sich auch im Zwischenmenschlichen ab. Bei der Ausübung der höfischen Jagd wurden etwa auch Handelsgeschäfte abgeschlossen oder Politik betrieben. Diese Praxis lässt sich bis ins 20. und 21. Jahrhundert verfolgen. Als Beispiel hierfür kann Erich Honecker angeführt werden, der sich mit Parteioberen zum Jagen in der Schorfheide traf und den BürgerInnen der DDR das gleiche Recht verwehrte. Mit 32 Stück erjagten Wildes innerhalb von neun Tagen kam er zwar nicht an Wilhelm II. heran, zeigte aber dennoch eindrücklich, dass die Jagd auch im jüngeren Verlauf der Geschichte als elitäre Freizeitbeschäftigung und Statussicherung fungieren kann.
Dana Meyer macht sich diese Aufladung des Jagdmotivs zu Nutze und verarbeitet in Wilhelms Große Jagd historische Machtverhältnisse in Stellvertretung vieler anderer Herrschenden; im großen Feld der Jagdmotive findet sie aber auch andere Bilder und Anknüpfungspunkte für aktuelle wie zeitlose Fragestellungen.
In der Serie Wilhelms Große Jagd zeigt die Künstlerin die Köpfe von Hochwild in verschiedenen Lebensaltern und Geschlechtern. Hirsche mit ausladendem Geweih, ein zierlicheres Reh mit kleineren Hörnern und ein kleines, jung und schutzlos wirkendes Kitz sind – abgetrennt vom Körper und mit heraushängenden Zungen – eindeutig als leblose Trophäen zu interpretieren. Die für Meyers Skulpturen typische Durchlässigkeit der dargestellten Tierkörper, die durch das Zusammenfügen der Stahlsegmente entsteht, wirkt in diesem Zusammenhang morbide. Betrachtende können Assoziationen zur Verwesung ziehen. Die glorifizierende Darstellung und das stolze Ausstellen einer Jagdtrophäe sähen vermutlich vollkommen anders aus. Vielmehr kommt bei Meyer durch das ungeschönte Zeigen der abgetrennten Tierköpfe eine bittere Ironisierung der anekdotisch überlieferten Jagdpraktiken Kaiser Wilhelms II. im Gegensatz zu seiner glanzreichen Selbstdarstellung zum Tragen.
Eine weitere Verarbeitung des Motivs der Jagdtrophäen in Meyers Werk bilden verschiedene Skulpturen von Tierfellen. Unter dem Titel Das Phlegma zeigt die Bildhauerin äußerst naturnah wirkende Darstellungen von abgezogenen Fellen eines Schweines, eines Hasen und eines Zebras. Die rostige Oberflächenstruktur und rotbraune Farbigkeit des verwendeten Stahls verleihen teilweise den mimetischen Eindruck von echtem Wildleder. Trotz des wuchtigen Materials, welches bei den großformatigen Fellen ein stolzes Gewicht auf die Waage bringt, ist es Meyer bei ihren Phlegmata gelungen, den einem Tierfell eigenen Eindruck von Leichtigkeit und Haptik zu evozieren. Der Werktitel, unter denen die Tierfelle zusammengefasst werden, gibt jedoch auf den ersten Blick Rätsel auf. Der Duden definiert das Phlegma als eine „nur schwer zu erregende und zu irgendwelchen Aktivitäten zu bewegende Gemütsart“. Diese Inaktivität trifft auf die dargestellten leblosen Tierhüllen im wahrsten Sinne des Wortes zu, kommt als Beschreibung in Anbetracht des wahrscheinlich gewaltsam herbeigeführten Todes der Tiere allerdings zynisch-euphemistisch daher.
Die Präsentationsweisen der Phlegmata gehen im Gegensatz zu Wilhelms Großer Jagd stärker auf die repräsentative Tradition der Trophäe ein: Sie können auf dem Boden liegend oder an der Wand montiert gezeigt werden und suggerieren dadurch eine Parallele zwischen der Praxis der Ausstellung von Jagdbeute und Werken bildender Kunst. Begehrte Trophäen übersteigen in der Jagdwelt zumeist den Wert des erjagten Wildbrets. Dieser Umstand verdeutlicht die Verschiebung der Jagd von der Existenzsicherung hin zur Statussicherung und wirkt auch über feudale Zeiten hinweg. So lässt das von Meyer aufgegriffene Motiv des Zebrafells an Großwildjäger in Steppengebieten denken und eröffnet dadurch den Blick auch auf imperialistisch geprägte globale Machtverhältnisse.
In den hier beschriebenen Werken rückt die Künstlerin explizit tote Tiere ins Zentrum der Gestaltung. Diese unterscheiden sich von den sonst äußerst lebendig wirkenden, scheinbar vor Bewegungsenergie aus jeder angedeuteten Muskelfaser sprühenden Tierskulpturen der Künstlerin.
Bei der Darstellung von Trophäen, die bei Dana Meyer auch Repräsentanten historischer Ereignisse und Kulturpraktiken sind, wird die Bildhauerin gleichsam zur Präparatorin. Wie in der Taxidermie Tierkörper zu Studien- und Dekorationszwecken kleinteilig handwerklich zerlegt, wieder zusammengesetzt und konserviert werden, vollzieht die Künstlerin einen ähnlichen Prozess während der Bearbeitung und Zusammensetzung der Skulpturen.
Die Beschäftigung der Bildhauerin mit dem Motiv der Jagd knüpft an eine lange Tradition in der Kunstgeschichte an. Mit diesem Bildthema ist es Dana Meyer möglich, formale künstlerische Interessen wie die Analyse von Bewegung, Haptik und Plastizität anhand von Naturstudien mit konzeptionellen Inhalten wie den gesammelten Anekdoten und die sich darin spiegelnden Machtverhältnisse zu verbinden. Die Verwendung des Jagdmotivs bietet den Betrachtenden einen großen Assoziationsraum für existentielle Fragestellungen, die sich zwischen Leben und Tod, Sieg und Niederlage, Gewalt und Erhalt sowie Kultur und Natur bewegen.
Kein Kunstwerk ist unbedingt, wenn es auch der größte und geübteste Künstler verfertigt: er mag sich noch so sehr zum Herrn der Materie machen, in welcher er arbeitet, so kann er doch ihre Natur nicht verändern. Er kann also nur in einem gewissen Sinne und unter einer gewissen Bedingung das hervorbringen, was er im Sinne hat, und es wird derjenige Künstler in seiner Art immer der trefflichste sein, dessen Erfindungs- und Einbildungskraft sich gleichsam unmittelbar mit der Materie verbindet, in welcher er zu arbeiten hat.
Johann Wolfgang Goethes Beschreibung des Verhältnisses von Künstler und Material aus Material der bildenden Kunst lässt sich – 230 Jahre nach ihrer Entstehung – auf das künstlerische Schaffen von Dana Meyer übertragen, die ihre Skulpturen aus überwiegend gefundenem Stahlblech fertigt. Denn die „Natur“ dieses Metalls kann die Künstlerin nicht verändern: Die Eigenschaften des Materials sowie ihr eigener Körper geben die Grenzen der Bearbeitungsmethode und der gestalterischen Möglichkeiten vor. Doch gerade die Widerspenstigkeit des Stahls und die Herausforderung mit diesem zu arbeiten, machen laut Meyer die Freude ihres Schaffens und die Schönheit ihrer Kunstwerke aus. Für die Konstruktion der Skultpuren aus dem Stahl braucht es künstlerische Beharrlichkeit, Kenntnisse über das Material sowie eine gute Vorstellungskraft, um die Figuren vor dem beziehungsweise durch das innere Auge entstehen zu lassen.
Die ersten Schritte im Entwicklungsprozess der Skulpturen bestehen aus dem Vorzeichnen einzelner Teile auf das Blech und deren darauffolgendes Heraustrennen mit Hilfe des Schneidbrenners. Als Nächstes werden die Metallstücke von Hand geschmiedet, also durch stetige Bearbeitung mit dem Hammer in die gewünschte Form gebracht – dabei erleichtert das Erhitzen der Fragmente den Bearbeitungsprozess. Während des Schmiedens und je nach Formgebung der einzelnen Teile ergibt sich oft erst deren zukünftige „Bestimmung“ als Körperteil oder anderes Element einer Figur. So schmiedet Dana Meyer sämtliche Einzelteile für ihre Figuren freihändig, um diese im Anschluss mit dem Schneidbrenner zu einem Werk zusammenzusetzen. Dieser Arbeitsprozess bietet der Künstlerin die Möglichkeit, weitere Elemente auf der Skulptur anzubringen oder andere wieder abzulösen. Somit kann sie im Verlauf der Werkschaffung auf ideelle Veränderungen in der Gesamtkonstruktion reagieren sowie die Dimensionen und Proportionen der entstehenden Skulptur entsprechend anpassen.
Einige dieser spannungsvollen Arbeiten sind jetzt im FrommannschenSkulpturenGarten zu sehen: Der Caretaker empfängt die BesucherInnen beim Eintreten in den Garten, Mensch trägt Pferd imponiert durch die darin repräsentierte Stärke und die Schweine strahlen wiederum Heiterkeit und Leichtigkeit aus. Allesamt fügen sie sich auf angenehme Weise in den Garten ein. Die von der Künstlerin beabsichtigte witterungsbedingte Patina gibt den stählernen Figuren einen Eindruck von „Natürlichkeit“: Ihre Oberflächen haben kaum glänzende und polierte Stellen, sondern sind vor allem rau und „naturbelassen“. Diese lassen Meyers skulpturale Lebewesen natürlich und lebendig aussehen. Mit ihrer rostigen braunen Oberfläche integrieren sie sich auch vermeintlich gefällig in das Grün des Gartens.
Die Gestalten wirken auf den ersten Blick in sich geschlossen und homogen. Erst danach bemerken die aufmerksamen Betrachtenden, dass die Skulpturen aus einzelnen Fragmenten zusammengesetzt worden sind. Schaut man noch genauer hin, so erkennt man die eigenwillige Dynamik der Figuren. Die einzelnen Stücke ergeben das Zusammenspiel einer tierischen Muskulatur und erzeugen so den Eindruck von Bewegung. Dana Meyer verleiht ihren Skulpturen dadurch eine Leichtigkeit, die einen ausgeprägten Gegensatz zum harten und schweren Stahlblech bildet. Die Betrachtenden sehen, wie der Mann in Mensch trägt Pferd unter der Last des Tieres in die Knie geht und dieses nur unter großen Anstrengungen zu tragen vermag. Dessen gekrümmte Beine, der zum nächsten Schritt ansetzende, angehobene Fuß und die einzelnen, die Beine wie Muskelstränge formenden Stahlstücke sowie die querverlaufenden „Bauchmuskeln“ lassen es aussehen, als wäre der Mensch in einer Vorwärtsbewegung. Den Schweinen verleiht diese Dynamisierung des Materials hingegen trotz ihrer massigen Körper eine gewisse Leichtigkeit, während sie spielen, umhertollen und – so scheint es – ihr Leben genießen. Im Gegensatz zu den anderen im Frommannschen Garten ausgestellten Skulpturen weisen ihre Oberflächen einen Glanz auf, den die Künstlerin durch das Auftragen von Öl auf ihre rostigen Leiber erzeugt hat. Dies ist eine nur kleine Veränderung mit großer Wirkung, denn dadurch wirken sie weicher und anziehender.
Dana Meyers Arbeit mit der Härte und Rohheit des Stahls resultiert in lebendig wirkenden Tierskulpturen. Sie arbeitet mit der Widerspenstigkeit des Materials, bringt es an seine Grenzen und schafft so dynamische, in ihren Bewegungen natürlich aussehende Skulpturen. So verbindet die Künstlerin in ihrem Schaffen ganz in Goethes Sinn ihre „Erfindungs- und Einbildungskraft […] mit der Materie“ und bringt dadurch metallene Lebewesen mit einer ganz eigenen Ästhetik hervor: Fragmentierte Körperteile mit rauen, verwitterten Oberflächen aus einst widerspenstigem Stahlblech werden zu herumtollenden Schweinen, einem zähnefletschenden Wachhund oder einem starken Mann, der ein Pferd trägt.
Zylindrisch und bauchig, gestaucht und gestreckt, mit und ohne Deckel – dutzende Einmachgläser in verschiedenen Formen und Größen bilden einzeln stehend, aber auch grüppchenweise übereinandergestapelt eine besondere Sammlung. Ihr Inhalt ist gleichermaßen grauenhaft wie faszinierend: Insekten. Scheinbar noch lebendig kreuchen und fleuchen die ungewöhnlichen Wesen in ihren gläsernen Gefängnissen umher. Andere wiederum, auf dem Rücken liegend und die langen Gliedmaßen emporstreckend, wirken wie tote und bereits präparierte Exemplare. Fremdartig mutet der Eindruck der als Südpazifikexpedition betitelten Werkreihe Dana Meyers an. Die schimmernden Panzer der mannigfaltig gearteten Insekten weisen prächtige Farben auf: ein sattes Azurblau, ein strahlendes, von schwarzen Streifen durchbrochenes Rot oder auch irisierende Metallic-Töne in Gold und Kupfer. Es herrscht ein Wirrsal an Beinen, Fühlern und Stacheln. Zu sehen sind zart beschaffene, mit feinen Adern durchsetzte Flügel, entfaltet oder dicht am Körper anliegend, und unterschiedliches Mundwerkzeug in Form von Stech- und Saugrüsseln oder mächtigen Kieferklauen.
Zu den exotischen Eindrücken kommen höchst vertraute hinzu. Eines der Insekten erinnert an die gemeine Stubenfliege, ein anderes scheint der Ameise nachempfunden zu sein und ein weiteres gleicht einem gewöhnlichen Rosen- oder Rüsselkäfer, wie manch eine/r sie bereits in den heimischen Gefilden umherkrabbeln gesehen hat. Und doch irritieren Meyers Getiere: Eigentümlich in die Länge gestreckt ist der Leib der vermeintlichen Ameise. Denn er besteht nicht aus den üblichen drei Teilen Kopf, Brust und Hinterleib, sondern gleich aus mehreren und aneinandergereihten Brustsegmenten. Die harmlose Fliege nimmt vermittels des borstigen, aus dem Rücken sprießenden Haares und der vorspringenden, konvexen Facettenaugen plötzlich bedrohliche Züge an. Und auch die Eigenschaften des Käfers scheinen verkehrt worden zu sein: Anstatt als naturgemäßer Winzling tritt er hier – wie soeben aus Kafkas verwandlung entsprungen – als ein etwa 30 Zentimeter großes Ungeziefer auf.
Täuschend echt erscheinen die Wesen und gleichzeitig verwundert ihre sonderbare Erscheinung. Ist es möglich, dass es sich hierbei um tatsächlich existierende Tiere handelt, fragt man sich als betrachtende Person unweigerlich. Anlass für eine Bejahung der Frage gibt die feingliedrige Physiognomie der Insekten. Die grazil sich windenden Extremitäten und nahtlos aneinanderschließenden Rückenplatten scheinen Formen zu entsprechen, wie nur die Natur sie hervorzubringen vermag. Auch die polychrom schillernden Exoskelette wirken wie ein weiteres für einen natürlichen Ursprung sprechendes Indiz. Als unhaltbar entpuppen sich diese Überlegungen jedoch bei einer näheren Betrachtung der vielen in den Gläsern verwahrten Exemplare. Der metallische Glanz ihrer Panzer, der beim ersten Anblick den Eindruck von Chitin vermittelt, verweist letztlich auf das tatsächliche Material: Metall. Es sind keine natürlichen Geschöpfe, sondern die künstlerischen Produkte von Dana Meyer.
Die fein gearbeiteten Plastiken der Bildhauerin zeugen von großem handwerklichem Geschick. Im Gegensatz zu ihren massiven Skulpturen, deren einzelne Metallplatten vor der Formung durch Schmiedefeuer erhitzt werden müssen, erfolgt der Schaffensprozess der aus dünnem Stahlblech erzeugten Insekten im Kaltzustand. Hammer und Zange dienen ihr dabei als Werkzeuge, mit denen sie dem Werkstoff durch gezieltes Schlagen und Biegen die gewünschten Formen entlockt und daraus detailreiche filigrane Gebilde entstehen lässt. Die getriebenen Teile werden anschließend miteinander verschweißt und stehen daraufhin dem Experimentierfeld weiterer Ergänzungen durch Farbe und zusätzliche Materialien offen. Meyer arbeitet bei der finalen Gestaltung ihrer Insekten mit Wasser- und Ölfarben, Pigmentstaub oder auch Holzstücken und feinen Gitterstrukturen. Daraus resultierend wird in der Südpazifikexpedition die Illusion einer naturkundlichen Sammlung geschaffen, deren überaus realistisch wirkende Insektenpräparate aus fernen Regionen zu kommen scheinen.
Verstärkt wird die Nähe zur Natur auf sprachlicher Ebene. Auf jedem Glas ist ein sorgfältig mit Tusche beschriebenes Etikett angebracht. Das Papier ist fleckig und vergilbt; wirkt schon alt. Zu lesen sind auf Deutsch und Latein der wissenschaftliche Name des jeweiligen Tieres sowie dessen Ordnungssystem. Darunter folgen der Fundort und das Jahr, in dem es vorgeblich gefangen wurde. Das Moment der Verwunderung wird angesichts der ausgeschilderten Insektenbezeichnungen in keiner Weise aufgehoben, sondern gar intensiviert. Meyers Erfindungsreichtum schlägt sich im Sprachlichen auf ähnlich kunstvolle Weise nieder wie in ihren Insektenplastiken. Einen nahezu literarischen Anspruch bergen diese kleinen Wortkreationen und ein poetischer Impetus geht mit ihren Namensgebungen einher: die Blauschweiflibelle und die Halbmondzikade oder der Bucklige Marktsauger und die Falsche Soldatenschnake; ähnlich virtuos formuliert sind die Bezeichnungen Chauvinistischer Grünrüsselkäfer und Violetter Drachenhals. Wenngleich die lyrisch-skurrilen Namen zunächst realitätsfern erscheinen, referieren sie – wie die Kreaturen selbst – zu einem gewissen Grade auf wirkliche Gegebenheiten. So wird mit der Systematik der Etiketten auf die Entomologie, also die Insektenkunde verwiesen. In Anbetracht tausender existierender Insektenarten mussten auch einige EntomologInnen bei der Namensvergabe Kreativität beweisen, was gleichermaßen wohlklingende Benennungen wie die Andromeda-Netzwanze, die Keusche Schmarotzerhummel oder die Blaugrüne Mosaikjungfer hervorbrachte.
Ein subtiles Geflecht aus wirklichkeitsnahen- und fernen Elementen wird in der Werkreihe der Künstlerin gebildet, wodurch die Phantasie der Betrachtenden spielerisch herausgefordert wird. Was ist real und was erfunden? Weiter zugespitzt wird diese Frage, wenn man die auf den Etiketten genannten Fundorte und Jahreszahlen berücksichtigt. Demnach wurden die Exemplare zwischen 1906 und 1910 auf den Inselwelten des Südpazifik gesammelt. Zwei Ebenen – die der Realität und die der Fiktion – prallen dadurch unvermittelt aufeinander. Zeitlich zu verorten ist das reale Entstehen der Meyer’schen Insekten zwischen 2011 und 2020; beständig werden im Leipziger Atelier der Künstlerin zudem neue Plastiken hergestellt, welche die umfangreiche Sammlung weiter wachsen lassen. Doch wird durch die werkimmanente und paratextuelle Sprache, also den Titel, eine zur Jahrhundertwende stattgefundene Forschungsreise in ferne Südseeorte suggeriert. Ebendiese fiktionale Südpazifikexpedition ruft vor dem geistigen Auge traumhafte Bilder von weißen Sandstränden und einsamen Lagunen, von dicht bewachsenen, mit fremdartigen Tierstimmen erfüllten Dschungeln und von in allen erdenklichen Blautönen schimmernden Meereswogen hervor. Die Arbeit Meyers spricht die den Menschen innewohnende Sehnsucht nach fernen Eilanden und dem Unbekannten an. Als deren idealer Nährboden fungieren die Vorstellungen, die die meisten von uns mit der Südsee verbinden. Der Gedanke an die Inseln und Atolle des pazifischen Ozeans zu Anfang des 20. Jahrhunderts beschwört eine Zeit herauf, in der Abenteuer noch möglich schienen, in der die Flora und Fauna entlegener Gegenden noch erforscht und die letzten Grenzen der Welt noch überschritten werden konnten.
Wesentlich geprägt wird unser Bild vom Südpazifik von den Reiseberichten und der Südseeliteratur jener Zeit. Hinzu kommen bekannte bildkünstlerische Umsetzungen des Topos, wie die friedvollen und farbenfrohen Gemälde Paul Gauguins oder Emil Noldes, auf welchen ihre Sicht der exotischen Ferne festgehalten ist. Häufig beschrieben und dargestellt wird ein harmonisches Leben im Einklang mit Natur und „Eingeborenen“, fernab von den Beschwerlichkeiten der Zivilisation. Bei einer nüchternen Betrachtung dieses kulturellen Phänomens kristallisiert sich jedoch eine stark idealisierte und romantisierte Auffassung des westlich geprägten Blicks auf das Fremde heraus. Schon damals entsprachen die in Europa herrschenden und bis heute fortwährenden (Klischee-)Vorstellungen vom schönen Südpazifikleben nicht der Realität. Unter der Kolonialherrschaft des wilhelminischen Kaiserreiches hielten spätestens im 19. Jahrhundert Unterdrückung und Ausbeutung Einzug in die Idylle – und die Sammelwut mancher Forschenden ging zuweilen so weit, dass die dortige Kultur und Natur bedroht wurde. Schon längst waren die Orte zu „verlorenen Paradiesen“ geworden.
Die sonderbaren Insekten lösen in den Betrachtenden jedoch keine beklemmenden Gefühle aus, denn ein Verweis auf die realen Hintergründe und gesellschaftlichen Missstände der kolonialistisch geprägten Forschungsreisen klingt hier nicht an. Anstatt auf die Wirklichkeit scheint die Werkreihe auf die menschliche Einbildungskraft abzuzielen. Mehrheitlich sind es Traum- und Wunschwelten, die das um die Insektensammlung gesponnene Narrativ in uns entstehen lassen. Selbst die faktischen Elemente der Arbeit – die auf den Etiketten angeführten, allesamt in der Realität vorhandenen Orte der vermeintlichen „Funde“ – wirken phantastisch angehaucht, so als ob sie alten Sagen und Geschichten entstammten: Aneityum, Upolu, Niue, Tutuila und Mehetia. Ourea taucht gar in der griechischen Mythologie als eine Gottheit in Gestalt eines personifizierten Gebirges auf.
Meyers Phantasiegetier offeriert den Betrachtenden, eine 100 Jahre zurückliegende Forschungsexpedition zu imaginieren. Die Fiktion von eifrigen EntomologInnen, wie sie von Insel zu Insel reisen, um unwirklich anmutende Insekten zu sammeln, greift weder Stereotype von Südseevorstellungen auf, noch kann sie als eine lebensnahe Schilderung der damaligen Umstände aufgefasst werden. Die Werkreihe entzieht sich einer exakten Einordnung; die Grenzen von Natur, Literatur und Kunst, Wirklichkeit und Phantasie verschwimmen. Einerseits kann die Südpazifikexpedition auf formalästhetischer Ebene als ein Kunstwerk wahrgenommen werden. Aus dieser Perspektive erfreut sich der oder die Betrachtende am Anblick einer künstlerischen, nur scheinbar naturkundlichen Insektensammlung, deren Formen- und Farbenvielfalt von der Erfindungsgabe der Bildhauerin zeugt. Darüber hinaus bietet Dana Meyer uns jedoch an, die Schwelle der analytischen Betrachtung zu überwinden und uns auf eine fiktive Reise zu begeben. Wer sich darauf einlässt und auf die eigenen träumerischen Fähigkeiten vertraut, kann selbst eintauchen in ferne Sehnsuchtsorte: den feinen Sand unter den Füßen spüren und einen kurzen Blick auf die drahtigen Beinchen des vorbeilaufenden Palmkäfers werfen; sich auf der Spur der mit einer Oxidationsschicht überzogenen Grinsenden Stabschrecke durch das Unterholz des Dschungels kämpfen; oder auch den Coconut Point auf Tutuila erklimmen, um ein Exemplar des seltenen Felsen-Stierkämpfers mit seinem im Sonnenlicht erstrahlenden metallischen Panzer einzusammeln. Die Südpazifikexpedition macht es möglich daran zu glauben, dass diese „einstigen Paradiese“ früher von faszinierenden Krabbeltieren bevölkert wurden und die letzten verbliebenen Relikte davon in der Meyer’schen Insektensammlung überdauert haben. Jederzeit abrufbar sind die darin konservierten Träume – ein flüchtiger Blick in eines der vielen Einmachgläser genügt.
Fragt man nach der Wiederkehr und dem Stellenwert bestimmter Tierarten in den bildenden Künsten, dann zählt das Pferd zweifelsohne bis heute zu einem der beliebtesten Motive. Diese Beliebtheit manifestiert sich bereits in den frühesten Tierdarstellungen: den Höhlenmalereien des prähistorischen Menschen, welche neben Bären, Nashörnern oder Raubkatzen auch einige Verbildlichungen von Pferden offenbaren. Die heutzutage wohl populärsten Pferdemalereien – mit Blick auf das kunstinteressierte Bildungsbürgertum – gehen auf den expressionistischen Künstler Franz Marc zurück, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts zahlreiche Gemälde schuf, welche von blauen Pferden dominiert werden. Marc und sein Malerkollege Wassily Kandinsky erhoben zudem eine blaufarbene Pferd-Reiter-Darstellung zum mythisch aufgeladenen Sinnbild sowie programmatischen Leitmotiv ihres Künstlerverbundes Blauer Reiter. Die bekannteste und öffentlichkeitswirksamste Form der Reiterdarstellung gründet sich jedoch im Medium der Bildhauerei: im klassischen Reiter- beziehungsweise Herrscherstandbild, dessen Ursprünge im antiken Griechenland liegen. Insofern äußert sich der künstlerische Beliebtheitsgrad des Pferdes nicht zuletzt in seiner instrumentalisierten Funktion als herrschaftsikonographisches Motiv.
Auch im bildhauerischen Schaffen der zeitgenössischen Künstlerin Dana Meyer schlägt sich die Affinität für das Pferd als Motiv sowie Gegenstand wiederholt nieder. Neben skulpturalen Pferdebüsten wie der Arbeit Scheuklappen (2018) setzt sich die Bildhauerin mehrfach mit der Darstellung des Pferdes in seiner ganzkörperlichen Erscheinung auseinander. Gleich zwei dieser großformatigen Auseinandersetzungen werden im Rahmen der diesjährigen Ausstellung – neben Schweinen und Hund, welche derselben formalen Stahlästhetik sowie dem der Künstlerin charakteristischen Herstellungsverfahren entsprechen – präsentiert. Das Liegende Pferd (2010) weist noch die Verwendung von Armierungseisen auf, welche als eine Art Gerippe des Pferdekörpers fungieren und besonders sichtbar im Hals- und hinteren Beinbereich sind. Nach Angaben der Künstlerin kennzeichnet der Einsatz dieses Eisens ältere Skulpturen. Die jüngere Arbeit Mensch trägt Pferd (2014) unterscheidet sich jedoch in einem noch viel grundlegenderen Punkt von der erstgenannten Pferdeskulptur und damit gleichzeitig auch von den anderen in Jena ausgestellten Tierbildwerken. Bereits der Werktitel verweist darauf: Der kräftige Korpus des Pferdes wird von einem, durch das unübersehbar ausgearbeitete Geschlechtsorgan als männlich charakterisierten und ebenfalls muskulösen Menschenkörper getragen. Hingegen bleibt der Anblick eines menschlichen Kopfes aus, ein solcher wird vielmehr – ausgehend von einer frontalen Ansicht der Skulptur – durch den voluminösen Pferdekopf negiert. Auch bei der Betrachtung aus anderen Perspektiven fehlt ein menschlicher Kopf, wodurch insgesamt der Eindruck eines Mischwesens entsteht. Unterstrichen wird dieser Eindruck durch die gleichartige Materialästhetik von Mensch und Tier.
Körperlich ineinander verschmelzende Mensch-Pferd-Wesen erwecken Assoziationen an die Kentauren der griechischen Mythologie. Im 19. Jahrhundert erfährt dieses mythologische Sujet insbesondere im Werk des Künstlers Arnold Böcklin vielzählige Verbildlichung wie etwa in Kentaur in der Dorfschmiede. (Abb. 1) Die Gestalt des Kentauren zeichnet sich durch einen männlichen Kopf sowie Oberkörper aus. Auf Bauchnabelhöhe geht der menschliche Körper in einen gescheckten Pferdekorpus über. Nicht nur in diesem Gemälde, sondern ebenso in den meisten künstlerischen Darstellungen wird der Kentaur als ein männliches und kräftiges Geschöpf wiedergegeben. Diese Form von Maskulinität manifestiert sich auch in der Meyer'schen Skulptur. Vollends reiht sich diese jedoch nicht in das mythologische Bild ein. Denn das Pferd, dessen vier teils angewinkelte Beine deutlich sichtbar sind, wird im Gegensatz zum fragmentarischen Menschen als eine ganzkörperliche, physisch autonome Kreatur inszeniert.
Nicht nur das augenscheinliche Verwachsen von Pferd und Mensch und die unvollständige Wiedergabe des Menschenkörpers beziehungsweise Mannes desorientieren den Blick. Noch befremdlicher ist die Tatsache, dass nicht das Pferd, welches den Menschen sowohl in Größe als auch Gewicht dominiert, eben diesen auf seinem Rücken trägt, sondern selbst vom menschlichen Körper huckepack-artig durch die Gegend gewuchtet wird. Auch der Anblick des Liegenden Pferdes entzieht sich der gewohnten Seherfahrung – für gewöhnlich „liegen“ oder gar schlafen Pferde nicht auf ihrem Rücken, sondern höchstens in Brustlage oder auf der Seite. Meyer entfremdet ihre Pferde damit auch gleichermaßen von ihrem originären Wesen wie von ihrer Funktion als tendenziell vital galoppierende und reitbare Tiere. Beide Skulpturen haben somit gemein, dass sie das Pferd weder in seinen natürlichen Körperhaltungen, noch in seinen gesellschaftlich konventionellen Positionen präsentieren.
Wie lassen sich diese ungewöhnlichen Inszenierungsstrategien von Dana Meyer verstehen? Um diese Frage zu beantworten, ist es lohnenswert, einen kurzgefassten Blick auf die gesellschaftliche Rolle des Pferdes und die Mensch-Pferd-Beziehung im Allgemeinen zu werfen, die sich im Laufe der Geschichte verändert haben. Diese Veränderung spiegelt sich wiederum mehrheitlich in den epochenspezifischen künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Motiv des Pferdes wider. Im Wesentlichen sind es zwei gesellschaftlich-kulturelle Zäsuren, welche die Rolle sowie Funktion des Pferdes gegenüber dem Menschen grundlegend beeinflusst haben: dessen bereits weit zurückliegende Domestizierung seit circa dem 3. Jahrtausend v. Chr. sowie der industrielle Technologieschub in der westlichen Moderne im frühen 20. Jahrhundert. In der dazwischen liegenden Zeitspanne fungierte das Pferd als ein existenziell notwendiger Bestandteil der alltäglichen Erfahrungswelt des Menschen: als unabdingbares Fortbewegungsmittel, als Arbeits- und Transporttier und nicht zuletzt als Militär- beziehungsweise Kriegsdienstleister.
Im Hinblick auf die letztgenannte Funktion lassen sich zahlreiche künstlerische Darstellungsbeispiele anführen, welche das stürzende, das gefallene oder gar getötete Pferd – auch ohne Reiter – im Rahmen kriegerischer Auseinandersetzungen inszenieren. Betrachtet man nun die ältere Meyer'sche Pferdeskulptur – das Pferd, welches auf seinem Rücken liegt und alle Viere, teils in Krümmung von sich gestreckt hat – dann könnte dessen Erscheinung im Sinne eines „gefallenen“ Tieres an die Pferdedarstellungen der Schlachtenmalereien erinnern. Das Gefühl eines nicht-vitalen Tieres wird durch die morbide Material-Ästhetik der Skulptur unterstrichen. Zum einen hat das Zusammenspiel der einzeln zusammengefügten Stahlplatten sowie Armierungseisen den Charakter eines Skelettes, zum anderen erweckt die rot-bräunliche Färbung des gerosteten Metalls Assoziationen an Blut. Beide Wahrnehmungsaspekte stellen insofern die Vorstellung eines lebendigen oder gar gesunden Tieres in Frage. In Anbetracht dieser Inszenierung, welche auf eine Passivität aufgrund von Unfähigkeit, Leid oder Verletzung des Tieres hindeutet, wäre es allzu verführerisch, ein narratives Moment zwischen dem Liegenden Pferd und Mensch trägt Pferd zu vermuten: etwa eine Erzählung vom leidenden, vom verletzten Pferd, das sodann vom Menschen getragen werden muss.
Dana Meyer betont allerdings, dass keine konkret intendierte erzählerische Verbindung zwischen den beiden Pferdeskulpturen besteht. Vielmehr verweist die Künstlerin im Hinblick auf Mensch trägt Pferd darauf, dass diese Arbeit an den klassischen Topos des Reiterstandbildes anknüpft. Diese bereits einleitend erwähnte, prominenteste Form der Pferdeskulptur erfüllt die Funktion eines monumentalen Denkmals im öffentlichen Raum. Reiterstandbilder wurden bis in das späte 19. Jahrhundert primär zu Ehren einer siegreichen Leistung oder zur Repräsentation eines spezifischen Helden beziehungsweise Herrschers errichtet. Äußerst bekannt sowie prägend für nachfolgende Reiterstandbilder – insbesondere in der Hochphase dieses skulpturalen Typus im 17. Jahrhundert – ist das antike, ursprünglich vergoldete Standbild des Marc Aurel auf dem Kapitolsplatz in Rom. (Abb. 2) Der römische Kaiser mit siegreichem Armgestus sitzt mittig auf einem mit zahlreich geschmücktem Geschirr versehenen schreitenden und kräftigen Pferd. Meyers Mensch trägt Pferd unterscheidet sich davon nicht nur in dem offensichtlichen Faktum einer verdrehten Mensch-Pferd-Positionierung: Die Künstlerin verfolgt weder denkmalhafte Ambitionen mit ihrer monumentalen Stahlskulptur, noch wird ein männliches Sieger- oder Herrscherindividuum – bei dem klassischen Reiterstandbild handelt es sich größtenteils um „genderästhetische Demonstrationen männlicher Macht“ – portraitiert. Auch das Verwenden eines „unedleren“ Metalls, dessen Zustand zudem reichlich durch Verrostung geprägt ist, weicht von den wertvollen Materialen klassischer Reiterdenkmäler wie vergoldeter oder polierter Bronze und Marmor ab.
Gemein haben das klassische Reiterstandbild und Meyers Mensch trägt Pferd allerdings – neben der Männlichkeit des Protagonisten, die in der Meyer'schen Skulptur im explizit dargestellten Geschlechtsorgan als eine subtile Anspielung auf die traditionell männliche Reiterstandbild-Domäne gelesen werden kann – die skulpturale Repräsentation von Machtverhältnissen: Im Reiterstandbild wird die Mächtigkeit des Herrschers gegenüber dem Volk inszeniert und legitimiert. Dana Meyer folgend kommt in Mensch trägt Pferd hingegen sinnbildlich die menschliche Macht gegenüber dem Pferd zum Vorschein. Die Beherrschung dessen originärer Wildheit, dessen Stärke sowie Kraft seien als ein Zeichen menschlicher Macht gegenüber dem Tier zu verstehen, welche sich insbesondere im – heutzutage meist nicht mehr existenziell notwendigen – Reiten, Trainieren sowie Zügeln des Pferdes äußert.
Mit ihrer sinnbildhaften Anschauung knüpft die Künstlerin darüber hinaus an das aktuell vorherrschende Pferdebild an: einem Pferd, welches erstrangig in der westlichen Freizeit- beziehungsweise Hobbykultur verortet ist sowie nach dem Meyer'schen Verständnis den Stellenwert eines Luxusgutes aufweist. Eben dieses Luxusgut wird seitens des entindividualisierten Menschens in Mensch trägt Pferd hochpositioniert und plakativ präsentiert. Ebenfalls ließe sich das Liegende Pferd derartig deuten: Es besteht keine gesellschaftliche Notwendigkeit, dass das Tier sich fortbewegt und dem Menschen weiterhin Dienste leistet. Es kann daher ungestört „liegen“. Die als eine Art Skulpturen-Sockel fungierende Liegefläche des Tieres kommt in Anbetracht dessen als ein regelrechter „Präsentationsteller“ daher und Dana Meyer inszeniert das Liegende Pferd für die Betrachtenden somit offensichtlich auch als künstlerische „Luxusware“. Nach dieser Lesart entsprechen sowohl das Liegende Pferd als auch Mensch trägt Pferd kritisch-ironischen Sinnbildern oder skulpturalen Kommentaren zum gegenwärtigen (westlichen) Gesellschaftsbild einer Wohlstands- sowie Konsumkultur.
Abschließend zusammenfassen lässt sich, dass die Meyer'schen Pferdeskulpturen an klassisch tradierte Darstellungstopoi erinnern oder gar explizit daran anknüpfen; diese werden jedoch kritisch-ironisch hinterfragt sowie einer zeitgemäßen Aktualisierung unterzogen. Dadurch eröffnet die Künstlerin mehrdeutige Assoziationsräume, welche die herkömmliche Seherfahrung auf das Pferd durchbrechen, den Blick der Betrachtenden fasziniert fesseln sowie auf vielfältige Weise irritieren. Insgesamt geht es Dana Meyer aber nicht um das Pferd als solches, sondern vielmehr darum, mit dessen bildhauerischer Darstellung andere Sachverhalte – wie in diesem Fall vor allem Machtverhältnisse – zur Anschauung zu bringen.
Weshalb ist es dennoch genau das Motiv des Pferdes, welches mehrfach das bildhauerische Œuvre der Künstlerin durchzieht? Dessen Beliebtheit gründet sich nicht zuletzt in der einzigartigen formal-ästhetischen Beschaffenheit des Tieres: Sowohl die stark ausgeprägte Muskulatur als auch der dynamische Bewegungsapparat des Pferdes fungieren als primäre Ausgangspunkte für die bildhauerische Auseinandersetzung mit dem Tier seitens der Künstlerin. In diesem Sinne ist es auch nicht verwunderlich, dass die erste Tierskulptur, welche Dana Meyer erschaffen hat, laut eigener Angabe höchstwahrscheinlich ein Pferd abbildete. Sicherlich waren es eben auch diese Qualitäten des Tieres, welche zahlreiche Kunstschaffende der älteren sowie jüngeren Kunstgeschichte faszinierten; bis heute bewirken sie, dass das Pferd als künstlerischer Gegenstand vielfache Präsenz aufweist.