Seite R 6 · Donnerstag, 4. Februar 2016 · Nr. 29
Reiseblatt · Frankfurter Allgemeine Zeitung
Gefunden, erfunden, empfunden: Hiroyuki Masuyama reiste in den Harz, die Alpen und die Sächsische Schweiz und nahm Tausende von Details auf, mit denen er die großartigen Landschaften Caspar David Friedrichs am Computer nahezu originalgetreu als Fotografien zusammensetzte. Von Freddy Langer
Caspar David Friedrich war nie in den Alpen. Aber er musste dort auch gar nicht hin. Er kannte Bilder. Das war ihm genug. Skizzen seines Schülers August Heinrich sowie Gemälde von Kollegen dienten ihm als Vorlage für seine beiden berühmten Bergdramen. Den Watzmann sah er bei Adrian Ludwig Richter, den Mont Blanc bei Carl Gustav Carus. Beides Maler von Rang und von der Kritik überaus wohlwollend bedacht. Das war bei Friedrich nicht immer der Fall. Gerade seine Alpenbilder wurden skeptisch betrachtet. Das „Hochgebirge“ blieb zunächst sogar unverkauft.
Friedrich hatte etwas entdeckt, wonach Künstler, Kunstmarkt und Sammler in den Jahren 1824 und 1825 noch nicht suchten. Die beschäftigten sich mit Aspekten des Naturalismus und stülpten Fragen der Geowissenschaften über die Malerei, Debatten über elementare Gesetzmäßigkeiten der vermeintlich chaotischen Bergwelt, über Neptunismus und Plutonismus und das Entstehen der Berge durch Erosion oder Explosion. Das ließ zwar die Möglichkeit offen, kleine Menschlein und windschiefe Hütten in die gemalten Naturräume zu setzen, womit der Fleiß der Bergbewohner ebenso beschrieben war wie die Nichtigkeit des Menschen angesichts der dramatischen Szenerie. Aber es verlangte eben auch nach exakter Darstellung, weshalb Carl Gustav Carus den mächtigen Eisstrom am Fuß des steil aufragenden Mont Blanc, diese gewaltige Gletscherzunge voller Spalten und Séracs, so detailliert abbildete, als arbeite er für ein Wissenschaftsmagazin.
Caspar David Friedrich hatte andere Ziele: Ihm war es um die Essenz der Bergnatur zu tun, ihre Wirkung auf den Betrachter. Da drängen sich Wortspiele mit den Begriffen „gefunden“, „erfunden“ und „empfunden“ förmlich auf. Beim „Watzmann“ wie beim „Hochgebirge“, verzichtet er auf jede Erinnerung an den Menschen. Keine Spur von Zivilisation. Aber auch keine Andeutung von Hoffnung, Trost oder Glück. Richter wollte die „deutsche Natur zu einem Ideal, zu edler Größe erheben“. Friedrich lehnte das ab und beschimpfte dessen Bild als überladen mit den „aneinander, hintereinander und übereinander“ angehäuften Gegenständen. Was er stattdessen zeigt, ist Stein. Materie pur! Seine Bilder sind Faustschläge der Natur ins Gesicht des Betrachters.
Hiroyuki Masuyama kommt aus Tokio. Dort hatte er Malerei studiert, bevor ihn ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdiensts vor zwanzig Jahren an den Rhein brachte, wo er noch heute lebt. Zunächst studierte er in Düsseldorf bei Magdalena Jetelová Bildhauerei, anschließend Fotografie und Film an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Fehlt eigentlich nur noch die Poesie, um das weite Feld der Kunst flächendeckend zu beherrschen. Aber vielleicht ist das, was er schafft, ja eine neue Form von Lyrik: seine Verdichtungen von Raum und Zeit.
Er hat einen Film gedreht, für den er über die Dauer eines Jahres durch einen Düsseldorfer Park spaziert ist. Immer ging er nur ein paar Schritte, und jeden Tag fing er nur ein paar Bilder mit der Kamera ein. So folgt man ihm im fertigen Werk nicht allein durch die Kunstlandschaft des Parks, sondern durch eine Flora, die sich im Wechsel der Jahreszeiten verändert, die knospt, blüht, strahlt, vergeht und am Ende unter Schnee begraben ist. Dann folgte die Weltreise, genauer: Es waren zwei. Mit einem ausgetüftelten Flugplan und vorbestellten Fensterplätzen umrundete er nahezu ohne Pause von Frankfurt über Bangkok, Tokio, Honolulu, Los Angeles und New York den Globus, unternahm die Reise gleich nach Ankunft in Frankfurt noch einmal und fotografierte dabei alle zwanzig Sekunden zum Fenster hinaus. Dann fügte er die Aufnahmen zu einem Panorama der Erde im Wechsel der Tageszeiten zusammen. Es ist nur vierzig Zentimeter hoch, aber siebenundzwanzig Meter lang. Erst der Park, dann der Globus: Reisen, sagt Hiroyuki Masuyama, sei für seine Arbeit immer wichtiger geworden. Es ist seine Aneignung von Welt. Doch folgt er mittlerweile auch den Reisen prominenter Künstler, um zu bereifen, wie wiederum diese die Welt interpretierten. William Turner ist einer von ihnen. Mit dessen Skizzen im Gepäck unternahm er die Tour des Malers von London durch Deutschland und die Schweiz bis Rom und fotografierte von den Originalplätzen aus mehr als achtzig von Turners Skizzen und Aquarellen nach. Und er suchte Motive von Caspar David Friedrich.
Begonnen hat er in der Sächsischen Schweiz, und obwohl er natürlich wusste, dass Friedrich die Gemälde aus Versatzstücken seines Skizzenhefts montiert hatte, suchte er eine Woche lang in den Schluchten nach der Höhle mit dem Grab des Arminius, so wie Friedrich die zeigt. Vergebens. Dann begann er, Felswände, Steine, Farne und Moose zu fotografieren, wie sie auf dem Gemälde zu sehen sind. Am schwierigsten waren die Bäume, sagt er. Und natürlich das Licht. Aber mit dreihundertfünfzig Aufnahmen hatte er genügend Material, um das Bild am Computer nahezu originalgetreu nachzubilden. Anschließend fuhr er zum Watzmann, zum Mont Blanc und in den Harz, um zusammenzutragen, worauf Friedrich sich berief.
Seine Bilder sind grandios, atemraubend, ausgedruckt im riesigen Format und in Leuchtkästen gesetzt, weshalb das Licht noch blendender ist als bei Friedrich. In einer Ausstellung in Frankfurt erhalten sie fast etwas Sakrales, und gerade weil Friedrichs „Hochgebirge“ 1945 zerstört wurde, wird diese Arbeit nun so etwas wie ein moderner Ersatz, der mit den Mitteln der Computertechnik das Sublime gebiert. Zugleich ist den Bildern etwas Meditatives eigen; und es ist verführerisch, dahinter eine japanische Sicht auf die Welt zu vermuten. Doch womöglich offenbart sich die japanische Kultur viel mehr im Anspruch der exakten Kopie.
Wenn er wissen wolle, wie er aussehe, sagt Hiroyuki Masuyama, schaue er in den Spiegel. Wenn er wissen wolle, wie es in ihm aussehe, blicke er auf die Kunst. Sie sei ihm ein Spiegel der Seele. Mehr verrät er nicht. Nun lädt er den Betrachter seiner Bilder ein zu einer Reise in das eigene Selbst.
Hiroyuki Masuyama – Fotografien, Galerie Rothamel, Fahrgasse 17, 60311 Frankfurt; bis 27. Februar.
Bildunterschriften:
(1) Als Gemälde zerstört – als Fotografie wiederauferstanden: das „Hochgebirge“ des Mont Blanc, am Computer zusammengesetzt aus Hunderten von Einzelbildern.
(2) Gefunden? Felsental mit dem Grab des Arminius
(3) Sublim: Watzmann mit Felsen aus dem Harz
Reisen zwischen Raum und Zeit
Die Kunst von Hiroyuki Masuyama
Raum und Zeit stehen im Fokus der Kunst von Hiroyuki Masuyama. Er verdichtet diese komplexen Konstrukte in methodischer Kleinarbeit zu sinnlichen Kompositionen, die mit der Wahrnehmung des Betrachters spielen: Die Welt kann in einem Wimpernschlag umrundet werden / auf einer Wiese blühen Frühlings-, Sommer- und Herbstblumen neben schneebedecktem Gras / die Werke bekannter Vertreter der Kunstgeschichte formieren sich neu in der temporalen Wirklichkeit ihrer Orte. Als gute Methode, um dies zu realisieren, nennt der Künstler das Reisen... ganz im Sinne der Bedeutungsvielfalt des Wortes.
1968 in Tsukuba in Japan geboren, studierte Masuyama 1987 bis 1993 Malerei und Wandmalerei an der Hochschule für Bildende Künste und Musik in Tokyo. Als DAAD-Stipendiat kam er 1995 an die Kunstakademie in Düsseldorf und wechselte 1999 für ein Studium der Medienkunst an die Kunsthochschule für Medien in Köln. So bediente sich Masuyama für seine frühen Kompositionen sowohl der Fotografie als auch der Videokunst. In den Serien „family portrait“ und „park“ klingen Gestaltungsvarianten an, die später charakteristisch für den japanischen Künstler werden sollen. Hier wird die Familie des Künstlers zum Gegenstand mannigfaltiger Zeit- und Raumeindrücke, dort spaziert der Betrachter in einem Park, der sich Schritt für Schritt im Wandel der Jahreszeiten verändert. Der Künstler fotografierte über den Zeitraum eines Jahres eine Anlage in Düsseldorf und fügte die zahlreichen Aufnahmen zu einem Video zusammen. Zentral und zugleich irritierend ist das Nebeneinander verschiedener Zeiten, die an einem Ort kulminieren.
Die Erforschung der Simultanität ließ den Künstler 2002 zu seiner ersten großen Reise aufbrechen: Für die Serie „Flight“ bestieg er ein Flugzeug, flog um die Erde und machte alle 20 Sekunden ein Foto. Als Resultat entstand eine Panoramaansicht der Welt auf über 27 Metern Länge. Hunderte verschiedener Orte werden für den Betrachter zeitgleich wahrnehmbar. Die Kunsthalle Emden zeigte die Werke, die sich in LED-Leuchtkästen präsentieren, 2013 in einer eigenen Halle als Rundgang um die Welt in der Welt. Im Abschreiten des Raumes vollzieht der Künstler anhand der illuminierten Fotografien die Erdumrundung auf seine ganz persönliche Art und Weise nach.
Aus der Luft nahm Masuyama auch sein nächstes Sujet ins Visier: Berge. Er setzte Fragmente einer Vielzahl an Aufnahmen zu neuen Gebirgsformationen zusammen. Und ließ so eine neue Art konstruierter Gleichzeitigkeit in seinen Leuchtkästen wahr werden. Zudem erforschte Masuyama auf diese Weise die Möglichkeiten digitaler Fotografie in der Spannung von Kunst und Wirklichkeit, eindrucksvoll zu beobachten im Werk „Matterhorn“, das 2006 „In den Alpen“ zu sehen war, einer Ausstellung des Kunsthauses Zürich.
Das anfängliche Interesse am Wechsel der Jahreszeiten führte Masuyama neben seiner Kunst des Reisens zu einer Blumenwiese. Für die Serie „flowers“ lichtete er diese über mehrere Jahre ab und setzte Fragmente der Aufnahmen zu zeitumfassenden Kompositionen zusammen. Die Kunsthalle Gießen zeigte 2011 das monumentalste Werk dieser Serie. Hier tummeln sich Wärme und Kälte liebende Gewächse im Angesicht von Frost und Sonnenschein. Das gleiche Konzept liegt einer weiteren Werkfolge zugrunde, „Sakura and Magnoria“, hier allerdings mit Bäumen als zentralem Objekt verdichteter Zeitlichkeit.
Um seinen künstlerischen Spielraum zu erweitern, ging der Künstler in der Folge einen Schritt weiter: Die Verdichtung von Raum und Zeit erlangt in der Beschäftigung mit Werken der Kunstgeschichte eine kulturelle und auch malerische Komponente. Masuyama, der Reisende des 21. Jahrhunderts, folgte den Wegen der romantischen Reisenden Caspar David Friedrich und Joseph Mallord William Turner. Zugleich suchte er nach Plätzen von ähnlicher Ausdruckskraft. Durch die nunmehr gefestigte Vorgehensweise der Zusammenfügung von Fragmenten der entstandenen Fotografien bildete er die Gemälde der Meister nach, formte in malerischer Wirkung Orte, die intertemporär sind. „Faszinierend an Masuyamas Schaffen ist für mich die Verbindung seiner traditionellen Motivauswahl und Vorgehensweise mit der modernen Technik.“, schreibt Katharina Seyn-Wittgenstein über das Werk „Das Eismeer 1823-24“ aus dem Jahr 2007 in der Sammlung der Hamburger Kunsthalle im Kunstmagazin „art“. Reisen als Methode des Entdeckers verbindet die Romantiker mit dem Zeitgenossen ebenso wie die Arbeitsweise: Fragmente der Realität werden im künstlerischen Prozess zur eigenen Version der Wirklichkeit zusammengestellt: Masuyama nutzt Fotografien, Friedrich und Turner arbeiteten nach Skizzen. Zu der Ausdruckskraft der malerischen Fotokunst tragen besonders auch die LED-Leuchtkästen bei, in denen die Werke präsentiert werden. Das für die romantische Malerei so wichtige Licht lässt die neuartigen Kompositionen zusätzlich im Glanz des 21. Jahrhunderts erstrahlen. Schön ist dies bei der Betrachtung der Arbeit „Greifswalder Hafen 1820“ in der Sammlung des Städelmuseums zu erleben.
Eine interessante Spielart seiner konstruierenden Methode entwickelte Masuyama 2012 bei einem Besuch der italienischen Stadt Cava de’ Tirreni. In den Werken der entstandenen Serie zeigt ein Digitaldruck mehrere sich überlagernde Aufnahmen der alten Künstlerstadt. Die Idee des „tempus fugit“, die im Oeuvre des Japaners anklingt, veranlasste den Künstler 2011 dazu, sich in die Welt der Stillleben zu begeben. Auf die ihm nunmehr charakteristische Art und Weise ließ er zunächst die Blumenmalereien altniederländischer Meister wie Jan Seghers neu erblühen, bevor er sich Werken von Albrecht Dürer und Leonardo Da Vinci zuwandte.
Nach der Bearbeitung von Orten auf der ganzen Welt, der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft wagte sich Masuyama bereits 2009 in ein neues Abenteuer: Die Annäherung an das Außerirdische wurde zunächst auf recht bodenständige und minutiöse Weise zelebriert: Der Künstler fertigte eine Kugel aus Kirschholz, gespickt mit Löchern, die beim Betreten des Gebildes zu Sternenudn Sternbildern werden, die in monatelanger Arbeit exakt von Sternkarten übertragen wurden. In der Ausstellung „Himmelwärts“ zeigt das Museum Sinclair-Haus aktuell weitere Arbeiten mit diesem Kontext: Ein Gebilde aus Fiberglas und Holz zeigt die Milchstraße, ein gigantischer Leuchtkasten umfasst eine Sonne, die sich in Resin und Acrylfarben entflammt.
In: Süddeutsche Zeitung, 22. April 2015
Der japanische Fotograf, Videokünstler und Bildhauer Hiroyuki Masuyama zeigt seine Arbeiten im Ismaninger Kallmann-Museum
Von Sabine Reithmaier
Gleichzeitigkeit fasziniert Hiroyuki Masuyama. Mit Hingabe schichtet er Zeitebenen aufeinander, vereint 18., 19. und 21. Jahrhundert in einer ganz eigenen, schwer zu fassenden Simultanität. Die LED-Leuchtkästen des japanischen Fotografen und Videokünstlers im Ismaninger Kallmann-Museum zeugen eindrucksvoll von seinen Reisen durch Raum und Zeit.
Der Künstler, 1968 in Tsukuba geboren und seit 1995 in Düsseldorf lebend, wandelte auf den Spuren Caspar David Friedrichs oder William Turners und suchte die Orte auf, die die beiden in Landschaftsbildern oder Stadtansichten festgehalten haben. Masuyama fotografierte die Originalschauplätze aus unterschiedlichsten Perspektiven und setzte am Computer aus Hunderten Fotos die Gemälde wieder zusammen. Es ist erstaunlich, welche Mühe er verwendet, Turners nahezu abstrakte Farbkompositionen mit den Mitteln der Fotografie nachzubilden. Freilich, auch Turners Bilder entstanden im Atelier, der britische Maler komponierte seine Arbeiten nach Skizzen und hatte keinerlei Problem damit, aus dramaturgischen Gründen eine Landschaft zu verändern. Er malte aus der Erinnerung, schließlich verstand er sich nicht als Dokumentarist - ebenso wenig wie sein deutscher Romantiker-Kollege Caspar David Friedrich. So gesehen ist es kein Widerspruch, dass Masuyama bis zu 400 digitale Bildschnipsel zu einer neuen Landschaft verschmilzt, die zwar einerseits der Vorlage unheimlich ähnelt, andrerseits aber eindeutig aus der Jetztzeit stammt und Selbsterlebtes mit einbezieht.
Die Zeitgenossenschaft ist oft erst auf den zweiten Blick zu entdecken. So gleicht der Blick auf die Rialtobrücke in Venedig zwar Turners 1840 entstandenem Bild. Doch die ungezählten Touristen, die sich schemenhaft auf der Brücke drängen, stammen aus dem 21. Jahrhundert. Die Reihung der 70 Bilder suggeriert zudem, Turner hätte eine zusammenhängende Reise unternommen, die von London über Köln, Heidelberg, Luzern nach Venedig und Rom führte, was nicht stimmt - Turners Bilder entstanden zu verschiedenen Zeiten. Aber die Hängung verdeutlicht ein anderes wichtiges Thema Masuyamas: das Reisen.
Auch Caspar David Friedrichs Werk erschließt sich der Fotograf auf eine ähnliche Weise. Was dessen "Greifswalder Hafen" von 1820 betrifft, so dümpeln zwar originalgetreue Segelschiffe am Kai. Aber am Ufer liegt neumodisches Schwemmgut, alte Autoreifen etwa und anderer Zivilisationsmüll. Die Übergänge zwischen den Jahrhunderten sind fließend, aber unübersehbar. Genauso nutzt Masuyama auch die Radierungen Giovanni Battista Piranesis, die er abfotografierte und wieder mit eigenen Aufnahmen ergänzte. Auch hier blendet er das aktuelle Straßenleben ein, weshalb sich zwischen die Menschen vor dem Forum Romanum im 18. Jahrhundert Autos schieben.
Unbedingt empfehlenswert ist es übrigens, in die einzige Skulptur der Ausstellung durch eine Einstiegsluke hineinzuklettern. 2820 Kirschholzelemente hat Masuyama für diese Kugel mit dem Namen "O" aneinandergeleimt, 30 000 winzige Löcher gebohrt und in dieselben Fiberglasstäbe gesteckt. Im Inneren erstrahlt ein prachtvoller, exakt aus Karten übertragener Sternenhimmel, den man sitzend oder liegend genießen kann.
Die Kugel-Skulptur passt gut zur "Weltreise", jenes schmale Leuchtkastenband, das Masuyamas Weltumrundung einfängt. In 42 Stunden flog er um die Erde, fotografierte alle 20 Sekunden aus dem Fenster und montierte aus den Tausenden Aufnahmen ein fast 30 Meter langes Panoramabild. An die Wände hat er die Namen von Städten gekritzelt, Frankfurt, Los Angeles oder Tokio, eine kleine Ortung im unendlichen Blau des Himmels, das von Sonnenauf- und -untergängen oder dunkler Nacht unterbrochen wird. Noch monumentaler ist die Installation "flowers". 22 Meter lang, aber 2,40 Meter hoch packt sie den Betrachter körperlich an, vermittelt ihm das Gefühl, in einer Blumenwiese zu stehen. Mehrere Jahre fotografierte Masuyama immer dieselbe Wiese zu unterschiedlichen Jahreszeiten. So blühen Tulpen neben Mohn und Johanniskraut, reifen Brombeeren neben von Raureif überzogenen Gräsern. Frühling, Sommer, Herbst - alles findet gleichzeitig statt.
Irgendwann landet man vor "Family Porträt", einer Videoarbeit, in der Masuyama nicht nur sich, sondern auch Frau, Sohn und Eltern festhält. Indem er Fotos aus verschiedenen Jahren übereinanderblendet, erzeugt er ein bewegtes Bild. Und die Gewissheit, dass Altern ganz schön schnell geht.
Hiroyuki Masuyama: Raum Zeit Reise, Dienstag bis Sonntag, 14.30 bis 17 Uhr, Kallmann-Museum Ismaning, Schloßstr. 3b, bis 10. Mai
In einer umfangreichen Werkfolge widmet sich Hiroyuki Masuyama (1968 in Tsukuba / Japan) dem bedeutendsten deutschen Landschaftsmaler der Romantik: Caspar David Friedrich (1774-1840). Auf seinen Reisen zu den Orten, Bergen, Gipfeln und Küsten, die Friedrich in seinen Titeln nennt, muss Masuyama jedoch feststellen, dass die Sehenswürdigkeiten und Landschaften nicht mehr in der Weise vorhanden sind oder nie existierten. Masuyama erfährt, dass auch Friedrich nicht das gemalt hat, was er sah, sondern dass er seine Eindrücke im Atelier verdichtete und das endgültige Werk aus der Natur, seinen Skizzen und seinen Absichten entstand.
Masuyama Fotografien zu Caspar David Friedrich sind das Ergebnis einer völligen Neukomposition aus tausenden Aufnahmen, die Masuyama teilweise in jenen Regionen aufnimmt, an denen Friedrich einst seine Inspirationen sammelte. Masuyama erarbeitet seine Fotografien nach Studien und Skizzen mit Hilfe der digitalen Fototechnik und feilt an seinen Bildern, bis eine täuschende Ähnlichkeit entsteht, obwohl die Motive keineswegs identisch sind.
Erik Stephan, Kunstsammlung Jena