Hjördis Baacke
Hjördis Baacke malt Wälder. Realistisch, mit einem besonderen Augenmerk auf das Licht, was ihre Leinwände zuweilen impressiv wirken läßt. Jeder Wald hat seinen eigenen Charakter, ist eine Persönlichkeit und Baackes Waldbilder sind gleichsam Porträts.
Spätestens seit den Corona-Jahren mit ihren Beschränkungen wurde der Wald wieder zu einem Zufluchts- und Sehnsuchtsort. Auch die neue Unsicherheit und zunehmende Fremdheit in den Städten trägt dazu bei: Das Interesse an diesem einzigartigen Biotop boomt.
Nicht zum ersten Mal in der Geschichte tritt das Phänomen auf. Bereits während der französischen Revolution und den napoleonischen Kriegen erwachte das Interesse am Wald. Einsamkeit in der Natur ist ein wichtiges Thema in den Bildern von Caspar David Friedrich. Carl Maria von Webers 1821 uraufgeführter „Freischütz“ trug das Motiv in die Musik. Die Düsseldorfer Malerschule, die Schule von Barbizon und ihre Nachfolger in Europa und Amerika brachten tausende von Waldmotiven hervor.
Die Moderne und die Avantgarden lenkten ihr Augenmerk auf die neuen Industrien, das Proletariat, den Klassenkampf, auf die Städte, auf Flugzeuge und Schiffe, auf den Himmel und das Meer. Die Welt schien offen und voller Verheißungen. Der Wald mit seinen Schatten, Verstecken und Geheimnissen galt als Hort des Irrationalen.
Inzwischen haben wir gelernt, dass Ratio und Wissenschaft neben ihren effektiven und bequemen Erfindungen Massenvernichtungswaffen, Ideologien, Umweltkatastrophen und Klimawandel erzeugen. Ihre Errungenschaften machen uns oft träge, degenerieren uns in vielen Bereichen, verändern teilweise die Genetik, produzieren Seuchen.
Der menschliche Gestaltungswille bedarf dringend des Abgleichs mit den natürlichen Systemen, die sich im Laufe von Jahrmillionen ausbalanciert und die uns hervorgebracht haben. Nicht im Sinne einer Weltflucht, sondern vielmehr einer Rückbesinnung aufs Lernen und Schauen. Waldbilder, die über ein Jahrhundert lang als obsolet galten, sind heute wieder hochaktuell.
Hjördis Baackes Malerei füllt eine Lücke, die schon lange darauf wartet, besetzt zu werden. Waldbilder waren ein Jahrhundert lang geradezu tabuisiert und es gehört Courage dazu, dieses hochaktuelle Thema neu zu erfinden. Die Künstlerin schreibt über ihre Werke:
„Jeder von uns hat unzählige, unterschiedliche Waldbilder in sich gespeichert, die verschiedene Assoziationen hervorrufen. Das können sowohl eigene Erinnerungen sein, aber auch Urlaubsfotos von Freunden, Abbildungen in Büchern und Werbung aber natürlich auch Filmstils aus Märchen, Natur- und Horrorfilmen.“
Der Wald ist voller Projektionen. Entscheidend ist dabei immer das Licht.
Mich interessieren Momente, die den Charakter eines bestimmten Waldes besonders zur Geltung bringen, die ihn in ein besonderes Licht tauchen und Facetten zeigen, die prägnant oder markant sind.
Dabei wähle ich Bildausschnitte, die möglichst unspektakulär sind und weitgehend frei von meinen Assoziationen. Ich möchte den Wald in seinem Farbspiel sehen und wiedergeben. Das Licht legt die einzelnen Ebenen der Vegetation frei und gibt mir eine Blickorientierung. Meine Bilder folgen dem Blick des Lichtes.“
Tatsächlich ist in vielen Gemälden Baackes ein raffiniertes Versteckspiel zu beobachten, welches nicht zuletzt durch ihren systematischen Bildaufbau zu erklären ist. Sei es ein Kind im Bademantel am Meer (2018), halb abstrakte Waldlandschaften, oft der Leipziger Auwald (2021), karge Baumstämme, bunt getupfte Wiesen (2019): mit leuchtenden, starken Farben beginnt die an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig (HGB) bei Arno Rink und Neo Rauch studierte Malerin ihre Bilder. Dann legt sie gedecktere Farben darüber, wobei sie die darunterliegenden Farben stellenweise und so wie es sich im Malprozess ergibt hervorblitzen lässt.
Als Arbeitsgrundlage verwendet Baacke eigene Fotos. Die ihr auf den Fotos vorliegenden Kompositionen übernimmt sie so, wie sie sind, wodurch ihre Gemälde eine unwahrscheinliche Authentizität gewinnen. Diese Form der Bildgenese, bei der die Kompostion im Laufe des Malprozesses nicht mehr hinterfragt wird, ermöglicht der Künstlerin eine große Freiheit im Umgang mit der Farbe. Baacke findet ihre malerische Freiheit im Minimalismus. Mit den Fotos als Gedankenstützen strebt sie einen spezifischen Malereirealismus an, welcher die Betrachtenden auf die Farbe und die Komposition zurückwirft, wie sie sagt. Gerade für die Lichtverhältnisse, Farben, Helligkeiten und Dunkelheiten seien ihre selbstgeschaffenen Fotovorlagen essenziell, denn, so die Künstlerin: „Es gibt Licht- und Farbkonstellationen, die ich mir einfach nicht ausdenken kann. Die Fotos brauche ich als Skizze, denn oft kommt es im Bild enorm auf die Farbkonstellation an, und darauf, ob die Farbtemperatur stimmig ist.“
Während des Arbeitsprozesses spielt und experimentiert Baacke mit den Farben, bis sie zu einer glaubwürdigen Bildlösung gelangt. Mit dieser Arbeitsweise fängt sie atmosphärische, momentartige Stimmungen ein. Bei der Betrachtung ihrer Gemälde und Zeichnungen werden Assoziationen zu den Impressionisten wach, insbesondere zu Claude Monet. Hjördis Baackes Bilder bewegen sich in einem großen Spannungsfeld von überschwänglicher Freiheit und minimalistischer Beschränkung, von gegenständlicher Offensichtlichkeit und koloristischer Rätselhaftigkeit. Dadurch entwickeln sie diese starke, geheimnisvolle Anziehungskraft, welche den Betrachter kaum mehr loslässt.
Dr. Sara Tröster Klemm 2022

